Brandneues

Tavy – Kahlschlag einer Insel

Schwarzer Rauch vernebelt die Route nationale 2. Der Geländewagen bremst und fährt im Schneckentempo weiter. Der Fahrer kurbelt eilig sein Fenster zu. „Was ist das?“, fragt ein Reisender von den hinteren Sitzen. „Der Wald brennt“, murmelt der Fahrer. „Wir nennen es tavy.“ So oder ähnlich geschieht es jeden Tag auf Madagaskar.

Aber warum brennt der Regenwald direkt neben einem Nationalpark? Ganz einfach: Er wird angezündet. Mitavy ist das madagassische Wort für Brandroden. Um eine Fläche niederzubrennen, muss vorher der gesamte Baum- und Pflanzenbestand gerodet werden. Dann lässt man alles ein paar Wochen trocknen und zündet die trockenen Pflanzenreste schließlich an. Einige Männer beaufsichtigen den Brand, und wachen darüber, dass nur die geplante Fläche abbrennt – was nicht immer gelingt. Brandrodung wird auf Madagaskar überall betrieben, und sorgt für die größte Umweltzerstörung auf der Insel seit Tausenden von Jahren. Allein innerhalb der letzten hundert Jahre sind über 70% der ursprünglichen Regen-, Trocken und Dornwälder Madagaskars verschwunden.

Brandrodung
Brandrodung im Osten Madagaskars

Um zu verstehen, warum die Menschen ihr eigenes Land verwüsten, muss man etwas tiefer forschen: Madagaskar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Über ein Drittel der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben, hat weder Zugang zu sauberem Trinkwasser noch zu medizinischer Versorgung. Wer abgelegen wohnt und von Kindesbeinen auf kaum Bildung erfahren darf, muss sich von dem ernähren, was er von seinen Eltern und Großeltern gelernt hat. Das ist vielerorts einfache Landwirtschaft, zum Beispiel zum Anbau von Reis, dem Grundnahrungsmittel der Madagassen. Nun könnte man stets die gleichen Felder bewirtschaften, doch mangels Düngemittel und Technik zur Bodenbearbeitung müssen viele Madagassen auf neue Felder ausweichen. Und mit Asche düngen.

In früheren Zeiten brannte man ein Stück Land nieder, nutzte es zwei oder drei Jahre für den Reisanbau und suchte sich dann ein neues Stück Land. In den nächsten 20 Jahren holte der Wald sich das ungenutzte Feld wieder. Das ging viele Jahrhunderte gut. Doch mit dem explosionsartigen Bevölkerungswachstum seit dem 19. Jahrhundert kippte die Balance: Seit über hundert Jahren verschwinden die Wälder schneller, als neue Bäume nachwachsen können.

Für die meisten Madagassen ist die Familie die wichtigste Konstante im Leben. Viele Kinder bedeuten Glück und Wohlstand. Und Verhütung ist leider gerade in der ärmeren Bevölkerung kein Thema. Je mehr Köpfe die Familie hat, desto schwieriger wird jedoch auch die Ernährung aller. Und wieder braucht es mehr Land, um die Familie mit dem geringen Einkommen durch Landwirtschaft über Wasser zu halten.

Boot voller Kohlesäcke auf dem Canal des Pangalanes
Boot voller Kohlesäcke auf dem Canal des Pangalanes

Und so roden die Familien Wälder. Die letzten, die noch stehen. Für Mais-, Reis– und Zuckerrohrfelder oder im großen Stil für kommerzielle Kaffee-, Kokosnuss-, Ylang-Ylang oder Kakaoplantagen. Im Süden werden Rinderweiden für die unzähligen Zebus benötigt, und überall im Land werden Unmengen Brennholz und Kohle gebraucht, denn die große Mehrheit der Familien kocht auf offenem Feuer. Einen kleineren Anteil am Schwinden der Wälder macht der illegale Schlag von im Ausland sehr begehrten Edelhölzern wie Palisander oder Rosenholz aus. Korruption und Armut spielt auch hierbei eine große Rolle – das schnelle Geld lockt so Manchen in die Illegalität. Seit Anfang des 20. Jahrhundert gibt es außerdem Bergbau in Madagaskar, für Edelsteine, Edelmetalle und seltene Erden. Wo Saphire und Gold warten, müssen Bäume weichen. Übrig bleiben kahle, mit Löchern gespickte Flächen, die zu nichts mehr verwendet werden können.

Die kahlen, abgerodeten und verbrauchten Flächen verfügen über wesentlich weniger Bewuchs als die ursprünglichen Wälder. Sie werden deshalb anfälliger für Erosionen, da tief verwurzelte Pflanzen fehlen. Stürme und Regen setzen den Äckern zu. Da der Regen mangels Wurzeln kaum versickert, walzen Schlammlawinen auf Straßen und in Täler. Rote Erde wird in die Flüsse gespült und sedimentiert in Seen. Zur Regenzeit sind seit Jahren vermehrt Erdrutsche entlang der RN2 von Antananarivo nach Toamasina (Tamatave) zu verzeichnen. Der schwindende Lebensraum ist auch Hauptursache für die Bedrohung der endemischen, einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt auf der Insel. Inzwischen sind etliche Lemurenarten ausgerottet, alle Sifaka-Arten und viele Reptilien gelten als vom Aussterben bedroht.

Erdrutsch
Erdrutsch an der RN2

Rechtlich ist die Lage klar: Brandrodung ist illegal. Das Schlagen von Edelhölzern ebenfalls, wobei hohe Korruption und wechselnde Gesetzeslage die Umsetzung geltender Gesetzte massiv erschweren. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Solange Menschen um ihr Überleben kämpfen müssen, ist kein Platz für Natur- und Artenschutz.

Die letzte Chance Madagaskars ist der Ökotourismus und das fortschreitend zunehmende Umweltbewusstsein der Madagassen selbst. Nur durch Menschen, die Geld dafür zahlen, die fantastischen Regenwälder zu sehen, durch beeindruckende Dornwälder zu laufen und die vielen endemischen Tiere zu entdecken, gewinnt die Natur einen Wert. Einen ganz materiellen Wert, der für die Nachbarn der Nationalparks und Reservate spürbar wird: Tourismus schafft Arbeitsplätze – sei es als Guide, Hotelkoch, als Betreiber eines Ladens oder Taxifahrer. Wo Geld fließt und Arbeit bezahlt wird, können letztlich auch Schulen gebaut werden. Und um die meisten Schutzgebiete herum gibt es Organisationen, die zusammen mit den Madagassen nachhaltige Landwirtschaft fördern und für aktiven Umweltschutz sorgen.

Baumschule von Mitsinjo in Andasibe

Im Hochland nimmt der Baumbestand Madagaskars bereits langsam wieder zu – auch wenn es sich dabei bisher vor allem um nicht-einheimische, eingeschleppte Arten wie Pinien und Eukalyptus handelt. Etliche Umweltschutzorganisationen unterhalten Baumschulen und pflanzen abgerodete Hänge neu. Fast die Hälfte aller verblienen Wälder Madagaskars stehen heute unter Schutz, wenn dieser auch vielerorts noch in seinen Kinderschuhen steckt. Es gibt also einen Funken Hoffnung für die Wälder der roten Insel. Es liegt an den Menschen, diesen Funken zu nähren und ihn nicht zu einem weiteren Waldbrand werden zu lassen.

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