Um den Titel des größten Chamäleons Madagaskars streiten sich seit Jahrzehnten zwei Chamäleonarten. Bisher gewonnen hat das Parsons Chamäleon (Calumma parsonii parsonii), dessen offiziell gemessene Vertreter mit knapp 70 cm Gesamtlänge wenige Zentimeter mehr schafften als das auf Madagaskar allgegenwärtige Riesenchamäleon (Furcifer oustaleti).
Parsons Chamäleons gehören zu den wohl beeindruckendsten Reptilien Madagaskars. Sie leben auf Bäumen und haben ihre Füße ähnlich kleinen Zangen perfekt an diese Lebensweise angepasst. Der kräftige Schwanz wird ebenfalls zum Greifen und Klettern genutzt. Große Parsons Chamäleons können Spitzengewichte von 750 Gramm erreichen – ein echter Riese unter den Chamäleons. Dabei sind sie jedoch meist von freundlichem Charakter, entspannt und unaufgeregt. Mora, mora, das Lebensgefühl vieler Madagassen, scheint auch das Mantra des Parsons Chamäleons zu sein.
Benannt wurde dieses Chamäleon übrigens 1824 durch den französischen Naturforscher Georges Baron de Cuvier. Er ehrte damit den bereits 54 Jahre zuvor verstorbenen Arzt James Parsons aus England, der sich auch für Naturforschung interessierte.
Parsons Chamäleons bevorzugen auf Madagaskar die letzten Reste von Regenwald, die es entlang der Ostküste und im südlichen Hochland noch gibt. Sie haben sich aber auch vielerorts mit Kaffeeplantagen angefreundet. Man unterscheidet vier verschiedene Farbvarianten, die auch an unterschiedlichen Orten vorkommen. Die bekanntesten darunter sind wohl die sogenannten Orange Eyes, die man entlang der Ostküste rund um Toamasina (Tamatave) und bis auf die Insel Nosy Boraha (St. Marie) entdecken kann. Aus dem östlichen Hochland um das Reservat Vohimana kommen die Yellow Giants, bei denen die ausgewachsenen Männchen – passend zum Namen – sehr stark gelb gefärbt sind. Das Gegenstück dazu sind die türkisgrünen Green Giants aus der Gegend um Masoala. Leider gibt es nur sehr wenige Fotos und Nachweise zu diesen wunderschönen Tieren, die Gerüchten zufolge größer werden sollen als alle anderen Parsons auf der Insel. Die vierte Farbvariante im Bunde sind die Yellow Lips aus der Gegend südlich von Ranomafana, deren Männchen mit auffallend gelben Lippen bei sonst türkisem Farbkleid glänzen.
Das Leben eines Parsons Chamäleons beginnt bereits mit einer Skurrilität. Das Ei liegt gute anderthalb Jahre im Erdboden, bevor ein Jungtier daraus schlüpft. Diese enorm lange Zeitspanne für die Eientwicklung gibt es bei keinem anderen Chamäleon weltweit. Man weiß heute, dass die Eier in der kühleren Trockenzeit mehrere sogenannte Diapausen durchmachen, während der die Entwicklung stagniert. Erst zu Beginn der zweiten Regenzeit, die das Ei erlebt, ritzt das kleine Parsons Chamäleon mit seinem Eizahn die Schale auf.
Schlüpft ein Jungtier endlich, ist es gerade mal wenige Zentimeter groß – noch nicht viel erinnert an den Giganten, der es später mal werden soll. Es geht sofort selbstständig auf die Jagd nach kleinen, geflügelten Insekten. Noch ist die aus dem Maul schießende Zunge eher klein – in ein paar Jahren wird sie fast einen Meter weit schießen können. In den ersten Lebensmonaten muss sich das kleine Parsons vor allem vor Fressfeinden schützen: Raubvögel, Lemuren und Schlangen sind gefürchtete Gegner. Ist das Chamäleon einmal ausgewachsen – wobei die Tiere lebenslang zumindest Millimeter weise weiter wachsen – hat es nur noch wenige Feinde. Jungtiere drehen sich bevorzugt hinter Äste, um von hungrigen Vögeln nicht entdeckt zu werden, und bewegen sich langsam wie ein im Wind wackelndes Blatt, um keinerlei unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Erst im Alter von etwa einem halben Jahr beginnt die grüne Erwachsenenfärbung der Weibchen und die je nach Farbvariante ausgeprägte Färbung der Männchen durchzuschimmern. Bei den Männchen fangen nun langsam die Nasenfortsätze an zu wachsen, die bei alten Tieren fast schon schaufelartig werden können. Welchen Sinn die Nasendekoration hat, weiß man bis heute nicht genau. Geschlechtsreif sind Parsons Chamäleons erst verhältnismäßig spät für Reptilien: Ein, zwei Jahre dauert es in der Wildnis, bis sie Interesse an der Paarungssaison zeigen.
Zur Regenzeit ab September suchen die Männchen nach paarungsbereiten Weibchen. Mit langsam schwingend-nickenden Kopfbewegungen signalisiert das Männchen seiner Angebeteten Interesse. Das Weibchen reagiert entweder mit Fauchen – wenn sie bereits trächtig ist – oder lässt die Paarung über sich ergehen. Nach rund vier Monaten gräbt sie ein tiefes Loch in die Erde zwischen Baumwurzeln, um dort 20 bis 40 weichschalige, weiße Eier abzulegen. Das Gelege wird danach sorgfältig mit Erde und Laub verdeckt, so dass niemand die Ablagestelle so leicht wieder findet. Hier beginnt der Lebenszyklus einer neuen Generation von Parsons Chamäleons.
Aktuell wird das Parsons Chamäleon auf der roten Liste der IUCN als „Near threatened“, also potenziell gefährdet, geführt. Es hat wie fast alle Tiere Madagaskars mit schwindenden Lebensräumen zu kämpfen. Eine begrenzte, eher geringe Zahl an Parsons darf jedes Jahr für die Terraristik aus Madagaskar exportiert werden. Die Art ist nicht einfach im Terrarium zu halten, inzwischen gibt es aber vor allem in Deutschland gute Nachzuchterfolge. Aus der Terraristik weiß man auch, dass Parsons Chamäleons über 15 Jahre alt werden können. Auf Madagaskar werden sie sicher nicht ganz so alt – die Lebensbedingungen in der Wildnis sind einfach härter.
Wer die Möglichkeit hat, Parsons Chamäleons in der freien Natur auf Madagaskar zu bestaunen, sollte diese unbedingt wahrnehmen. Kaum jemand kann sich dem Zauber und der Faszination dieser Tiere entziehen: Der sanften Riesen Madagaskars.