Im Westen Madagaskars, weitab von Straßen und größeren Städten, liegt der Trockenwald von Beanka. Obwohl bei Weitem nicht so bekannt wie die etwas südlicher gelegenen, weltberühmten Tsingy de Bemaraha, verfügt auch diese Gegend über eigene Tsingys. Madagassische Tsingy, das ist Karstgestein in Form meterhoher Nadelspitzen. Durch die Tsingys von Beanka schlängelt sich ein kompliziertes System von Höhlen und Schluchten, die fast völlig unerforscht sind. Nur wenige Menschen schaffen es überhaupt hierhin. Doch 2012 änderte sich das: Ein internationales Forscherteam nahm die beschwerliche Reise auf sich. Erstmals kartierten sie die Gegebenheiten vor Ort. Angespornt von der Herausforderung dieser abgelegenen, unwirtlichen Gegend kamen sie ein Jahr später schon wieder nach Beanka – und machten eine unglaubliche Entdeckung, die schließlich etwas später sogar zur Ausweisung eines Schutzgebietes führte: Sie fanden in der Höhle von Andriamamelo uralte Malereien an den Wänden.
In fünf Metern Höhe wurden einst Figuren und Symbole mit schwarzen Pigmenten auf das helle Karstgestein gemalt. Wissenschaftler schätzen das Alter der Höhlenmalereien auf 1000 bis 2000 Jahre. Ein Krokodil ist gut zu erkennen, ebenso eine Schildkröte. Eine Szene zeigt wahrscheinlich einen Elefantenvogel, einen sukkulente Pflanze und einen Schamanen, der Vogelfedern auf dem Kopf und eine Art Maske mit einem Schnabel trägt. Eine andere bildet ein Jagdszenario ab: Ein Riesenfaultier liegt auf dem Rücken. Rechts daneben stehen zwei kleinere Tiere, wahrscheinlich Hunde, links davon steht ein Jäger mit angedeutetem Pfeil und Bogen. Neben der schieren Faszination, dass Höhlenmalereien von so lange vergangener Zeit noch auf Madagaskar zu finden sind, beweisen sie auch, dass Menschen und Megafauna einst parallel auf der Insel lebten.
Etwas weiter unten ist eine Art Labyrinth auf den Felsen aufgetragen worden. Darüber befindet sich ein Schriftzug, der heute leider nur noch in Teilen lesbar ist. Es handelt sich um Schriftzeichen, die auch in der Sorabe Verwendung finden. S0 nennt man madagassische Schriften aus dem 15. Jahrhundert, die arabische Zeichen ähnlich dem javanischen Pegon nutzen. Einige eher abstrakte Zeichen der Malereien erinnern an 2000 Jahre alte Höhlenmalereien auf der Insel Borneo. Dass die Vorfahren der verschiedenen madagassischen Volksstämme womöglich sogar selbst aus Borneo kamen, scheint heute nicht mehr so abwegig wie noch vor wenigen Jahren. Man geht inzwischen davon aus, dass es Indonesier waren, die Madagaskar mit ihren Booten als erste Menschen erreichten und besiedelten.
Ungewöhnlich an den Malereien von Andriamamelo ist, dass kein einziges der 44 Symbole und Figuren mit Zebus in Verbindung steht. Höhlenmalereien aus dem Süden Madagaskars bestanden fast nur daraus, in Andriamamelo fehlen sich jedoch völlig. Ebenfalls ungeklärt ist die Bedeutung der sogenannten M-Figuren, von denen etliche in den Malereien zu finden sind. Sie ähneln auf den ersten Blick einfachen Strichmännchen. Im Amharischen, das in Äthiopien gesprochen wird, gibt es einen genauso aussehenden Ausdruck, der phonetisch in den austronesischen Sprachen sehr ähnlich klingt. Er steht für „Lebensatem“ oder „Atem“, was eher zu einer Bedeutung der M-Figuren im Zuge zeremonieller Opferungen oder magischer Rituale führen würde. Auch in der Tifinah-Schrift der Tuareg in der Sahara findet sich das Symbol wieder.
Die Madagassen, die heute nahe der Höhle leben, erzählen, dass der Name Andriamamelo so viel wie „edler Schöpfer“ oder „ehrbarer Lebensspender“ bedeutet. Andriamamelo sei ein Mpisikidy gewesen, ein Wahrsager, der aus Tamarindensamen die Zukunft vorhersehen konnte. Ob er und seine Gefolgschaft für die Höhlenmalereien verantwortlich zeichneten?
Die Höhlenmalereien von Andriamamelo sind theoretisch für jedermann zugänglich. Praktisch nicht: Die Lage der Höhle selbst im Westen Madagaskars ist so weitab jeglicher befahrbarer Straßen, dass man zum Einen selbst mit Geländewägen über Tage nur sehr beschwerlich dorthin kommt. Zum Anderen gibt es vor Ort im benachbarten Dorf Anahidrano keinerlei Infrastruktur. Die einsame Lage ist gleichzeitig jedoch auch der Schutz der Malereien: Wo niemand hinkommt, kann auch niemand etwas zerstören. Es ist gut möglich, dass tiefer in den Höhlen noch weitere urzeitliche Schätze auf ihre Entdeckung warten und seit Jahrhunderten unbemerkt im Dornröschenschlaf liegen.
- Rock art from Andriamamelo cave in the Beanka Protected Area of western Madagascar
The Journal of Island and Coastal Archaeology| 2019 | Autoren: David A. Burney et al. - Rock paintings and possible Libyco-Berber inscriptions from the upper Onilahy
Pan-African Aerchaeological Association Congress | 2014 | Autor: Tanambelo Rasolondrainy