Dass es im 21. Jahrhundert noch verschollene Arten gibt, die man wiederentdecken könnte, scheint völlig unglaublich. Doch auf Madagaskar ist fast alles möglich. Und so ging 2020 eine schier unglaubliche Nachricht um die Welt: Ein Chamäleon war nach über hundert Jahren wiederentdeckt worden!
Die ganze Geschichte reicht ins Jahr 1893 zurück. Damals beschrieb der Paläontologe Oskar Böttger, seines Zeichens Kurator des Senckenberg-Museums in Frankfurt am Main, eine neue Chamäleon-Art. Sie war rund 25 Zentimeter einschließlich Schwanz lang und trug einen runden Nasenfortsatz. Das Tier, was Böttger beschrieb, hatte der Zoologe Alfred Völtzkow auf einer Reise in Madagaskar gefunden und mitgenommen. Es war eines von vielen! Böttger beschrieb eine ganze Sammlung bis dato unbekannter Tiere und Pflanzen. Dann geriet die neue Art, die nach ihrem Entdecker Chamaeleon voeltzkowi getauft worden war, in Vergessenheit. 1959 beschloss der niederländische Herpetologe Dick Hillenius, dass es sich bei den vorhandenen Museums-Chamäleons aus dem madagassischen Westen um ein und dieselbe Art handeln müsste, nämlich das bereits beschriebene Furcifer rhinoceratus. Damit verschwand Völtzkows Chamäleon völlig von der Bildfläche.
Erst 2018, also genau 125 Jahre später, untersuchten deutsche Forscher die uralten, konservierten Chamäleons in der Zoologischen Staatssammlung München erneut. Ihnen war aufgefallen, dass sich die Museums-Exemplare der angeblichen Furcifer rhinoceratus teils enorm unterschieden. Besonders die Nasen der Chamäleons sahen so gar nicht aus, als wollten sie alle der gleichen Art angehören. Außerdem schien der Schwanz mancher Exemplare kürzer und der Helm höher. Und die Spürnase der Forscher lag goldrichtig. Mittels Mikro-CTs fanden sie heraus, dass Furcifer voeltzkowi eine eigene Art ist. Bald schon stand die Frage im Raum: Wenn es eine eigene Art ist, warum hat sie in den letzten Jahrzehnten niemand auf Madagaskar gesehen?
Noch im gleichen Jahr ging es für ein deutsch-madagassisches Team in den Westen Madagaskars. Von dort, so hatte es Alfred Völtzkow beschrieben, sollten die verschollenen Chamäleons stammen. Unterstützt von Global Wildlife Conservation ging es auf die Halbinsel Katsepy, einem wenig besuchten Gebiet an der Bucht von Bombetoka. Gegenüber liegt die Hafenstadt Mahajanga. Etliche Tage gab es keine Funde und die Hitze machte allen zu schaffen. Erst in der letzten Nacht, kurz bevor die Expedition beendet werden sollte, kam dann doch noch der Durchbruch: Die Forscher entdeckten mehrere lebende Furcifer voeltzkowi, Weibchen und Männchen. Damit war das verschollen geglaubte Chamäleon nach 125 Jahren endlich wiederentdeckt worden.
Heute weiß man einiges über die kleine, extrem bunte Chamäleonart. Vermutlich lebt Furcifer voeltzkowi ähnlich Furcifer labordi nur sehr kurz. Ihre Heimat sind die Trockenwälder von Soalala bis Katsepy im Westen Madagaskars. Hier ist es die meiste Zeit des Jahres heiß, trocken und unwirtlich. In der Regenzeit schlüpfen die winzigen Jungtiere aus ihren Eiern. Die jungen Völtzkow-Chamäleons wachsen sehr schnell, denn nun gibt es einen reicht gedeckten Tisch mit Insekten aller Größe. Der viele Regen bringt den trockenen Westen der Insel zum Blühen. Nach wenigen Monaten balzen die hochbeinig staksenden Männchen in ihren hellsten Farben. Sie nicken ihrer Angebeteten mit dem Kopf zu, um ihre Paarungsbereitschaft zu signalisieren. Kontrahenten werden mit Bissen und Fauchen vertrieben, bis ein Sieger sich mit dem umworbenen Weibchen paart. Ist das Weibchen trächtig, legt es nach einigen Wochen kleine, weiße, weichschalige Eier in ein selbst gegrabenes Loch im Boden. Dann scharrt sie das Erdloch wieder zu und geht ihrer Wege. Sie wird, genau wie die Männchen, bald schon sterben. Die neue Generation Chamäleons überdauert die wiederkehrende Trockenzeit im Ei, bis die nächste Regenzeit bessere Bedingungen zum Überleben bietet.
Wer die wunderschönen Chamäleons selbst auf Madagaskar besuchen möchte, kann sie am besten auf der Halbinsel Katsepy finden. Im Schutzgebiet Antrema nur wenige Kilometer von der Bucht von Bombetoka entfernt kann man in der Regenzeit fündig werden – gute Augen und ein wenig Geduld natürlich vorausgesetzt. Schließlich wurden die kleinen Chamäleons trotz ihrer knalligen Farben mehr als ein Jahrhundert lang übersehen. Wer ganz sicher gehen möchte, schließt sich am besten chamäleonkundigen Reisegruppen an. Und dann viel Spaß bei der Chamäleonsuche!
- Artenportrait Furcifer voeltzkowi auf Madcham.de
- Rediscovery, conservation status and genetic relationships of the Malagasy chameleon Furcifer voeltzkowi
Salamandra | 2020 | Autoren: Frank Glaw, David Prötzel et al. - Rising from the ashes: Resurrection of the Malagasy chameleons Furcifer monoceras and Furcifer voeltzkowi
Zootaxa | 2018 | Autoren: Marina Sentís, Yiyin Chang et al.