Früh am Morgen erklingt ein tiefer, eher langsam wiederholter „Bwup“-Ruf im Regenwald. Es ist der Ruf der Blaukopf-Erdracke (Atelornis pittoides), einem kleinen Vogel, der wie so viele Tiere auf Madagaskar sehr speziell ist.
Blaukopf-Erdracken sind auf Madagaskar endemisch
Blaukopf-Erdracken gibt es nur auf Madagaskar. Sie leben in den Regenwäldern der Ostküste, vom Montagne d’Ambre im Norden bis in nach Midongy du Süd im Südosten. Damit haben sie unter den Erdracken die weiteste Verbreitung auf Madagaskar. Höhenlagen von Meeresniveau bis hinauf auf 2000 m im Hochland sind kein Problem. Über 800 m kommen sie jedoch am häufigsten vor. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass höher gelegen Regenwälder etwas weniger von Abholzung bedroht sind und es sich dabei noch häufig um unberührte Primärregenwälder handelt. Denn eine gute Unterholzschicht mit vielen verschiedenen Pflanzen, wie sie vor allem in solchen Wäldern vorkommt, ist den Blaukopf-Erdracken am liebsten.
Diese Vorliebe ist eng mit der Lebensweise der Erdracken verknüpft: Einen Großteil ihres Lebens verbringen sie am Boden, laufend und hüpfend. Sie flattern nur kurze Strecken im niedrigen Geäst und bewegen sich kaum aus der Deckung des Regenwaldes heraus. Charakteristisch ist ihre Jagdweise: Einen Moment steht die Erdracke regungslos am Waldboden und beobachtet die Umgebung. Dann flitzt sie schnell zu einer anderen Stelle, um erneut den Boden zu beobachten. Sobald die Erdracke Beute entdeckt, schnellt sie auf sie zu. Blaukopf-Erdracken zählen auf Madagaskar übrigens zu den beliebtesten Motiven unter Birdwatchern – ihre Lebensweise am Boden erleichtert die Beobachtung. Außerdem sie sind weniger scheu als andere Racken. Das prächtige Federkleid tut sein Übriges.
Es gibt übrigens keine Unterschiede im Aussehen der Geschlechter. Von außen lässt sich also nur sehr schwer sagen, ob man gerade ein Weibchen oder ein Männchen vor sich hat. Die Damen der Art sind lediglich etwas größer und schwerer. Sie erreichen mit gut 90 Gramm gerade das Gewicht einer Mandarine.
Ein Partner und ein Nest fast für ein ganzes Leben
Auf dem Speiseplan der Blaukopf-Erdracken stehen vor allem Insekten und Gliederfüßer jeglicher Art: Ameisen, Käfer, Asseln, Schaben – da sind die Vögel nicht wählerisch. Gerade während der Regenzeit sieht man Erdracken jedoch auch den ein oder anderen Frosch oder kleine Chamäleons verspeisen. Verschiedene Froscharten vermehren sich zu Beginn der Regenzeit über mehrere Tage explosionsartig. So viele Beutetiere auf einen Schlag nutzen natürlich auch die Erdracken gerne aus und bedienen sich am reichhaltigen Angebot.
Noch in der Trockenzeit, Ende Oktober, beginnt die Brutsaison bei den Blaukopf-Erdracken. Haben sich Männchen und Weibchen gefunden, bleiben sie ein Leben lang zusammen. Sie besetzen ein gemeinsames Revier. Beide Partner bauen einen schrägen Tunnel in den Erdboden, der in einer kleinen Nisthöhle endet. Bis zu einen Meter lang kann der Zugang werden! Der Boden der Nisthöhle wird nach und nach mit weichem Pflanzenmaterial wie Moosen und Farnen ausgepolstert. Schließlich legt das Weibchen zwei bis vier glänzend weiße Eier ins Nest, die sie alleine ausbrütet. Das Männchen sorgt derweil für regelmäßige Mahlzeiten und schafft Futter heran. Nach dem Schlupf füttern beide Elternteile die Jungen, denn der Nachwuchs ist extrem hungrig!
Wer nah am Wegrand nistet, wird schnell gestört
Blaukopf-Erdracken legen ihre Nester bevorzugt in Tälern an, gerne entlang bereits vorhandener Trampelpfade – in touristisch genutzten Regenwäldern auch nahe der von Menschenhand geschaffenen Rundwege. Das macht die Vögel relativ störungsanfällig. Wegen ihrer noch großen Populationszahlen gilt die Blaukopf-Erdracke jedoch nicht als gefährdet. Ihr Lebensraum ist aber von Abholzung und Brandrodung überall an der Ostküste Madagaskars bedroht. Dabei ist sie auf den Wald angewiesen, in zerstörten oder landschaftlich genutzten Landschaften kommt sie so gut wie nicht vor. Studien zu Folge passen sich die Erdracken sogar in viel besuchten Regenwäldern an häufige Störungen an – sie legen weniger Eier oder suchen sich andere Nester weiter weg von den Wegen. Besuchen viele Menschen ihre Nester, rufen die Erdracken auch nachgewiesen weniger als zuvor. Vermutlich versuchen sie damit, potenziellen Beutegreifern, die gerne dem Menschen folgen, zu entgehen. Zu diesen Prädatoren gehört vor allem der Ringelschwanzmungo – er ist der erfolgreichste Nesträuber.
Blaukopf-Erdracken sind nach durchschnittlich drei bis vier Wochen flügge. Spätestens im Januar sollten die Jungen letztlich ihre Nester verlassen, denn mit der Zyklonsaison und damit einhergehenden schweren Regenfällen stehen die Chancen auf ein Überleben nicht mehr gut.
Für Birdwatcher ist der November am besten geeignet für eine Reise nach Madagaskar. Wer Blaukopf-Erdracken sehen möchte, sollte sich in den Nationalparks Andasibe-Mantadia oder Ranomafana auf die Suche begeben. Viele Erdracken-Paare nutzen jedes Jahr das gleiche Nest wieder, so dass spezialisierte Guides genau wissen, wo die Erdracken bestenfalls zu finden sind. Gute Chancen also, wenn man den richtigen Guide hat!
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- Biodiversity and Ecotourism: Impacts of habitat disturbance on an endangered bird species in Madagascar
Biodiversity, 4:4, 9-16, | USA 2011 | Autor: Jean Claude Razafimahaimodison - Fotos von Frans Lanting
- Rufe, Videos und Verbreitungskarten auf eBird
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