Brandneues

Das Land der Baobabs

Was wäre Madagaskar ohne seine stillen Wahrzeichen, die mächtigen Baobabs? Hierzulande besser bekannt als Affenbrotbäume sind Baobabs nicht erst seit Antoine de Saint-Exupéry und dem kleinen Prinzen berühmt und seit Jahrhunderten beliebtes Fotomotiv bei Reisenden. Die mächtigen, scheinbar mit ihren Wurzeln in den Himmel ragenden Bäume wirken auf jeden magisch, und vielen von ihnen werden sogar Zauberkräfte zugeschrieben. Madagaskar verfügt über gleich sieben verschiedene Arten Baobabs – weltweit gibt es übrigens nur acht Arten überhaupt. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass Madagaskar das Land der Baobabs ist.

Baobab Adansonia grandidieri
Grandidiers Baobabs nahe Morondava

Der afrikanische Affenbrotbaum (Adansonia digitata) ist ganz seinem Namen entsprechend auch auf dem übrigen afrikanischen Kontinent und nicht nur auf Madagaskar vertreten. Diese Art Baobab dürfte den meisten Reisenden daher auch am geläufigsten sein. Seinen Namen hat er vom lateinischen digitum, das bedeutet Finger. Seine Blätter sehen einer menschlichen Hand ähnlich. Der afrikanische Affenbrotbaum hat einen kurzen, dafür aber sehr dicken Stamm und eine weit ausladende, riesige Krone, die wie ein riesiges Wurzelgeflecht aussieht. Auf Madagaskar ist er im Westen heimisch, so gehört zum Beispiel der alte Baobab von Mahajanga zu dieser Art.

Der bekannteste Baobab Madagaskars dürfte jedoch Grandidiers Affenbrotbaum (Adansonia grandidieri) sein. Die Baumriesen werden bis zu 25 m hoch, bleiben Zeit ihres Lebens gerade und schlank, tragen eine verhältnismäßig flache Krone und sind im Westen der Insel nur von Morombe bis etwas nördlich von Morondava zu finden. Die berühmte Baobab-Allee zwischen den beiden Orten Morondava und Belo sur Tsiribinha besteht fast ausschließlich aus dieser Art Baobabs, und auch die nahe gelegenen Baobab-Wälder von Andavadoaka nennen etliche Grandidieris ihr eigen. Obwohl die Baobab-Allee heute bis auf die Bäume selbst ziemlich kahl erscheint, so wuchsen Grandidiers Affenbrotbäume ursprünglich wohl in dichten Trockenwäldern. Durch Buschbrände – die Baobabs wegen ihrer bis zu 10 Zentimeter dicken Rinde unbeschadet überstehen – wurde erst die heutige kahle Steppe geschaffen, die die Bäume ihrer Bestäuber beraubt hat.

Baobab Adansonia rubrostipa
Adansonia rubrostipa im Süden des Landes

Dritter im Bunde ist der madagassische Affenbrotbaum (Adansonia madagascariensis). Diese Art wird 5 bis 25 Meter hoch und bleibt relativ schlank. Trotz seines Namens kommt der madagassische Affenbrotbaum nur im Nordwesten der Insel vor, und ist zwischen Antsiranana (französisch Diego Suraez) bis zum Fluss Sambirano heimisch. Er toleriert auch etwas feuchtere Umgebung, und wächst vorwiegend auf Kalk- und Sandsteinböden.

Der typische Affenbrotbaum des Südens dagegen Madagaskars ist Adansonia rubrostipa, von den Madagassen Fony genannt. Diese Baobabs können mehrere Meter breit werden, werden aber nicht übermäßig groß: Die Durchschnittsgröße beträgt rund 12 Meter. Sie wachsen typischerweise flaschenförmig mit einer bizarr verwinkelten Krone, und kommen auf Madagaskar an der Südwestküste um Toliara und entlang der Westküste in den Resten der alten Dornwälder vor. In der Regenzeit bilden sie als einzige Art gelbfarbige statt roter Blüten aus.

Ein zweite Affenbrotbaum des Südens Madagaskars ist die Art Adansiona za. „Za“ ist einfach ein madagassischer Ausdruck südlicher Volksstämme für Baobabs, der in die wissenschaftliche Beschreibung Einzug fand. Man findet sie vom äußersten Süden, z.B. im Nationalpark Andohahela, über die Nationalparks Zombitse-Vohibasia und Isalo bis in den Norden Madagaskars kurz vor dem Fluss Sambirano. Adansonia za sind eher zylinderförmig und werden 10 bis 30 Meter hoch. Ihre Heimat besteht aus Dornwäldern und Savannen.

Baobabs Adansonia suarezensis
Zwei Baobabs der Art Adansonia suarezensis nahe einem kleinen Fischerdorf im Norden

In den heißen, trockenen Gebieten an der nördlichsten Spitze Madagaskars finden sich die beiden übrigen Baobab-Arten: Das ist zum einen Perriers Affenbrotbaum (Adansonia perrieri), von dem nur noch wenige Bäume existieren. Die größte zur Zeit bekannte Population besteht aus nicht einmal einem Dutzend Bäume in der Nähe von Ambondromifehy (einem Dorf bei Ambilobe). Diese Art wird meist 20 bis 25 Meter hoch.

Der zweite Baobab des Nordens ist Suarez‘ Affenbrotbaum (Adansonia suarezensis), benannt entweder nach der nahe gelegenen Stadt Antsiranana (früher Diego Suarez) oder deren gleichnamigen portugiesischen Entdecker. Im Wald von Mahory und nahe des Montagne de Francais steht diese Art zwischen anderen Laubbäumen, besonders viele davon gibt es jedoch nicht mehr. Diese Baobabs bleiben meist kleiner als 20 m, sind schlank und tragen einzelne dicke, waagrechte Äste als Krone.

Der wissenschaftliche Name der Baobabs, Adansonia, geht auf den französischen Botaniker Michel Adanson zurück, der im 18. Jahrhundert Expeditionen in den Senegal unternahm und dort den ersten Baobab wissenschaftlich beschrieb. Dagegen stammt der Name „Baobab“ vermutlich aus dem Arabischen, von bu hibab, was soviel wie „Frucht mit vielen Samen“ bedeutet. Das würde auf Madagaskar dazu passen, dass der Süden der Insel früh von Menschen aus dem arabischen Raum besiedelt wurde.

Baobab Blüte schön
Gelbe Blüte eines Adansonia rubrostipa

Sein ganzes Leben lang ist ein Baobab langsam und gemächlich – er ist das Sinnbild des Lebensmottos der Madagassen: „Mora mora“ bedeutet soviel wie „immer mit der Ruhe“, und ist ein immer wiederkehrendes Mantra jedes Bewohners der Insel. 10 bis 15 Jahre lang bleibt die junge Baobabpflanze ein Schößling – auch wenn sie in dieser Zeit schon mehrere Meter hoch wachsen kann. Der junge Baum ist in dieser Zeit jedoch noch sehr schlank und wirkt nur entfernt wie die typischen Vertreter seiner Art. Erst mit 20 Jahren blüht ein Baobab das erste Mal. Jetzt beginnt die zweite Wachstumsphase, bei der der Baobab je nach Art einen mehrere Meter dicken Stamm ausbildet. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr beginnen die ersten Äste in der Waagrechten zu wachsen und die charakteristische Krone auszubilden. In der Höhe nimmt der Baum nun gar nicht mehr zu. In einem Alter von rund 70 Jahren geht es in die dritte Wachstumsphase eines Baobabs. Der Stamm wird nun vor allem im unteren Bereich dicker, so dass sich eine Flaschenform ausbilden kann. In der vierten und letzten Lebensphase, die mehrere hundert Jahre dauern kann, wächst der Baobab nur noch wenig, und ausschließlich in die Breite.

Die beiden letzten Adansonia madagascariensis boenensis im Nationalpark Ankarafantsika

Die meiste Zeit des Jahres tragen Baobabs in der Hitze weder Laub noch Blüten. Sie können aber trotzdem Photosynthese wie andere Pflanzen betreiben, nämlich mittels einer dünnen Rindenschicht direkt unter der Borke. Sobald die Regenzeit naht, gewöhnlich gegen November, sprießen die ersten kugeligen Knospen und nach und nach werden die Kronen der Baumriesen grün. Innerhalb nur eines Monats ist ein Baobab komplett belaubt – nur wenn sehr wenig Regen fällt, verzögert sich die Blattentwicklung. Die Blüte dauert meist von Februar bis April, und jede der rosa bis roten Blüten ist für sich ein kleines Kunstwerk: Die rindenfarbenen Kronblätter rollen sich spiralförmig nach hinten ab und geben so die Blütenblätter selbst frei. Jede Blüte blüht jedoch nur einen einzigen Tag, bevor sie vertrocknet und zu Boden fällt.

Bestäubt werden Baobab-Blüten von Flughunden, Lemuren, Schmetterlingen und Faltern. Sie finden tief in der Blüte versteckt den süßen Nektar, und nehmen unbemerkt die Pollen des Baobabs mit zu seinem geschlechtlichen Gegenstück. Naht die Trockenzeit nach wenigen Monaten wieder, werfen die Baobabs ihre Blätter allesamt ab. Nun entwickelt der Baum seine Früchte.

Die Früchte der verschiedenen Baobabs sind groß, hängen an Stielen und tragen eine harte Hülle mit einem samtigen Pelz. Schneidet man sie auf, so findet man darin 20 bis 40 dunkelrote, haselnussgroße, steinharte Samen, eingebettet in beiges, faseriges Fruchtfleisch. Das Fruchtfleisch ist essbar, und schmeckt durch den hohen Gehalt an Vitamin B und C ein bisschen wie Tamarinde. In der Wildnis Madagaskars essen vor allem Lemuren die Samen mit und machen sie durch die Passagendurch den Darm besser keimfähig.

Baobabfrucht
Reife, geöffnete Baobabfrucht

Einige machen außerdem eine sogenannte Keimruhe durch, bei der der Samen erst durch ein bestimmtes Ereignis, z.B. einer weiteren Verdauungspassage oder lang anhaltendem Regen, zum Keimen angeregt wird. Wissenschaftler stellt dieses besondere Keimverhalten der Baobab-Samen vor große Schwierigkeiten: Einige Arten, die bereits am Rande des Aussterbens stehen, sind nur schwierig zu vermehren. Bei den im Südwesten Madagaskars im Nationalpark Ankarafantsika stehenden letzten Baobabs der Gattung Adansonia madagascariensis boenensis wurden schon viele Anstrengungen unternommen, Samen zum Keimen zu bringen und damit die Art zu erhalten. Bisher glückte kein Versuch, vom Übergießen mit kochendem Wasser über Anritzen der Schale bis hin zur Behandlung mit Säure oder Verfüttern an Elefanten. 2013 wurde einer der drei letzten ihrer Art auch noch von einem Zyklon gefällt. So sind es nur noch zwei einzelne Bäume dieser Unterart, und immernoch ist kein Vermehrungsversuch geglückt.

Baobabs sind außerdem Meister des Wasserspeicherns. Innerhalb einer einzigen Regenzeit saugt ein durchschnittlicher Baobab bis zu 140.000 Liter Wasser auf. Der Stamm wird im extrem trockenen Süden Madagaskars häufig für Trinkwasser angezapft, und teilweise sogar als eine Art Brunnen mit dem Buschmesser ausgehöhlt. In den Gegenden um Tolagnaro und das „falsche Kap“ (faux cap) regnet es teils nur an wenigen Tagen im Jahr, so dass die Baobabs in dieser Gegend zu regelrechten Lebensrettern werden. Aber nicht nur als Wasserspeicher sind Baobabs nützlich: Die Wurzeln und Blätter des Baumes sind gekocht essbar, aus der nachwachsenden Rinde und Ästen lassen sich Dächer und sogar ganze Hütten erbauen, Körbe und Tragen basteln. Die vertrockneten Blüten gelten als nützliche Medizin gegen Erkältung, und die Blätter werden gestampft gegen Rücken- und Gelenkschmerzen verwendet. In sehr kargen Zeiten kann die faserige Rinde auch mal als Futter für Zebus herhalten. Das Holz der Baobabs ist dagegen so gut wie nicht zu verwenden. Es verrottet sehr schnell und ist wegen seiner elastischen Eigenschaften mit Axt oder Säge kaum vernünftig zu bearbeiten.

Baobab, der als Wasserspeicher genutzt wird
Baobab als Wasserspeicher

Auf Madagaskar werden Baobabs außer als Wasserspeicher insgesamt wenig im Handwerk und Essen verwendet. Dies hat seinen Grund darin, dass die meisten Baobabs fady, d.h. heilig oder tabu, sind. Man nennt sie Reniala, zu deutsch die Mutter der Bäume. Verschiedene Baobabs auf Madagaskar, darunter die „Mutter des Waldes“ im Nationalpark Tsimanampetsotsa, stehen sogar unter besonderem Schutz, entweder wegen ihrer skurrilen Form oder ihres hohen Alters. Madagaskars Baobabs haben überhaupt wenige Feinde. Im Gegensatz zum übrigen Afrika gibt es auf Madagaskar keine Säugetiere, die groß genug wären, einem alten Baobab wirklichen Schaden zuzufügen. Ihre größte Bedrohung stellen der Mensch mit seiner fortschreitenden Siedlungserschließung, der damit verbundenen Zerstörung der Landschaft sowie die langsame, mühsame Vermehrung dar. Die IUCN führt drei der madagassischen Baobab-Arten (A. grandidieri, A. perrieri und suarezenis) bereits als „vom Aussterben bedroht“ auf ihrer roten Liste, die übrigen gelten als „potenziell gefährdet“.

Um das Alter der Baobabs auf Madagaskar ranken sich viele Legenden. Vom alten Baobab von Mahajanga wird behauptet, er sei über 1500 Jahre alt. Tatsächlich weiß man heute, dass nur wenige Baobabs älter als 400 bis 500 Jahre werden. Wenige Botaniker schätzen, dass Baobabs rein theoretisch bis zu 2000 Jahre alt werden können, und die Baobabs des afrikanischen Festlandes sollen regelmäßig bis zu 800 Jahre alt werden. Auf Madagaskar hat jedoch bisher noch niemand den Versuch unternommen, das Alter der Baobabs wissenschaftlich zu untersuchen. Ganz einfach ist diese Schätzung auch nicht, denn Baobabs haben keine Jahresringe wie normale Bäume. Nichtsdestotrotz kann man aus Erzählungen und von Fotografien heute sicher sein, dass viele Baobabs Jahrhunderte überdauert haben. Wenn Sie uns all das mitteilen könnten, was sie in dieser Zeit erlebt und gesehen haben – was würden Sie uns wohl erzählen?

Baobabs Adansonia grandidieri Sonnenuntergang

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