Ein ganz besonderer Bewohner Madagaskars ist das Votsotsa. Es sieht aus wie eine Mischung aus einem Kaninchen, einem Känguru und einer Ratte. Große Ohren, niedliche schwarze Knopfaugen, eine teils springende Fortbewegung und ein kaum behaarter, schmaler Schwanz. Tatsächlich gehört das Votsotsa zu den Madagaskarratten, einer eigenen Gattung, die nur auf Madagaskar lebt. Es ist mit gut einem Kilo Körpergewicht und 30 bis 35 cm Körperlänge das größte Nagetier auf der Insel im Indischen Ozean.
Wie seine optischen Verwandten, die Kaninchen, gräbt das Votsotsa unteridrische Bauten, um darin tagsüber zu leben. Die Tunnel des Baus sind rund fünf Meter lang und meist mit mehreren Ausgängen versehen. Dies ermöglicht es den Nagern, vor eindringenden Fressfeinden wie der südlichen Madagaskarboa zu fliehen. Zweiter großer Fressfeind der Votsotsas ist die Fossa, die den kleinen Nagern außerhalb ihres Baus auflauert. Alle Eingänge eines Baus werden sorgfältig von den Votsotsas verdeckt, indem Äste, Erde und Pflanzenmaterial aufgeschichtet wird.
Jeder Bau wird nur von einem Pärchen bewohnt. Ein Paar Votsotsas, das sich gefunden hat, bleibt ein Leben lang zusammen. Erst wenn einer der beiden Partner verstirbt, sucht sich das überlebende Votsotsa einen neuen Gefährten. Das Revier eines Pärchens ist etwa 3500 m² groß. Zum Ende der Trockenzeit hin findet die Paarung statt. Nach rund drei Monaten – in der Regenzeit, meist zwischen Dezember und März – werden die Jungtiere geboren. Das Votsotsa-Weibchen bringt nur ein, selten zwei Junge, zur Welt. Die jungen Votsotsas sind Nesthocker, sie werden nackt und blind geboren.
Die Jungtiere bleiben im Bau des Votsotsa-Paares, bis sie gut einen Monat alt sind. In dieser Zeit entwickeln sie ihre Sinne und das Fell wächst. Bald sehen sie wie kleine Abbilder ihrer Eltern aus. Während der Aufzucht verteidigt der Vater seine Jungen vehement gegen Eindringlinge. Er lockt Fressfeinde vom heimischen Bau weg und greift Tiere an, die dem Bau zu nahe kommen. Nur in Jahren mit besonders üppigen und langen Regenzeiten, die es im Westen Madagaskars nur sehr selten gibt, können die Votsotsas noch ein zweites Mal paaren und ein zweites Junges aufziehen.
Votsotsas ernähren sich vor allem von herunter gefallenen Pflanzenteilen, die sie nachts auf dem Waldboden suchen. Insekten ergänzen mit ihren wertvollen Proteinen die vegetarische Kost, vor allem in der Regenzeit. Während dieser Saison fressen Votsotsas auch viele Früchte. Sobald es trockener wird, müssen sie auf kargere Kost ausweichen: Baumrinde und Wurzeln sind nun Teil ihrer Nahrung.
Erst mit einem Jahr werden männliche Votsotsas geschlechtsreif, Weibchen sogar erst mit zwei Jahren. Für ein Nagetier ist das ungewöhnlich spät. Mit der einsetzenden Geschlechtsreife müssen die Männchen ihre Familie verlassen. Erstmals in ihrem Leben – und häufig bleibt es auch das einzige Mal – verlassen sie das Revier ihrer Familie und suchen ein einsames Weibchen, um in dem von ihr bereits bewohnten Bau zu leben. Weibchen bleiben ein Jahr länger bei der Familie und kümmern sich noch um die nächsten Geschwister, bevor sie den angestammten Bau verlassen.
Das Votsotsa kann nur finden, wer in den heißen und trockenen Westen Madagaskars reist. Nördlich der Küstenstadt Morondava lebt es in den verbliebenen Trockenwäldern zwischen den beiden Flüssen Tomitsy und Tsiribinha. Leider wird im Verbreitungsgebiet des Votsotsa noch sehr viel Brandrodung betrieben, was die ursprünglichen Wälder jedes Jahr weiter schrumpfen lässt. Das Gebiet Menabe-Antimena, das dem Votsotsa seinen wissenschaftlichen Namen Hypogeomys antimena verdankt, ist bereits nahezu kahlgefegt. Nur ein einzelnes Schutzgebiet, Kirindy, verbleibt noch als letzte Zuflucht für den großen Nager. Das Votsotsa ist heute vom Aussterben bedroht.
Ein zunehmendes Problem für das Votsotsa sind neben dem schwindenden Lebensraum streunende Hunde und Katzen auf Madagaskar. Da diese Haustiere nicht kastriert, aber von Menschen zugefüttert werden, vermehren sie sich ausgesprochen schnell und bejagen die einheimische, madagassische Fauna. Votsotsas sind außerdem sehr empfindlich gegenüber verschiedenen, von Katzen übertragene Krankheiten.
Wie alt Votsotsas in der Wildnis werden, ist noch nicht belegt. In Zoos können sie ein Alter von zwölf Jahren erreichen. Zur Zeit wird in 15 Zoos weltweit eine kleine Population Votsotsas aufgebaut, um das Aussterben der Art zu verhindern.