Lemuren gelten generell als soziale, friedliche Tiere. Doch ein Lemur sticht besonders hervor, was seine Familienbande angeht: Der östliche Wollmaki (Avahi laniger). Der Name rührt von seinem leicht gekräuselten Fell, das so kein anderer Lemur Madagaskars hat. Östliche Wollmakis leben nur auf Madagaskar, sie sind auf der Insel endemisch. Ihr Lebensraum liegt an der Ostküste Madagaskars – dort, wo es noch zusammenhängenden Regenwald gibt. Ihr Verbreitungsgebiet reicht etwa vom Fluss Mangoro auf Höhe der Stadt Antsirabe südlich von Antananarivo bis zur Bucht von Antongil im Norden mit dem angrenzenden Nationalpark Masoala. Früher dachte man, dass alle Wollmakis der Ostküste zur gleichen Art gehören. 2006 wiesen internationale Forscher nach, dass es sich bei ihnen um fünf eigenständige Arten handelt, nämlich Peyrieras-, Ramanantsoavana-, Betsileo- und Moore-Wollmaki. Und eben der echte östliche Wollmaki.
Wollmakis gelten auf Madagaskar als scheu. Man sagt ihnen eine eher zurückgezogene Lebensweise nach. Kein Wunder, denn Wollmakis sind nachtaktiv. Den Tag verschlafen sie weit oben im Baum, zu mehreren zu einem unzertrennlichen Wollknäuel zusammengedrängt. Erst in der Dunkelheit werden sie aktiv.
Zu Beginn der Trockenzeit, zwischen März und Mai, ist Paarungszeit bei den östlichen Wollmakis. Die Pärchen stehen meist schon vorher fest, denn diese Lemuren sind sehr treu und bleiben lebenslang bei ihrem auserwählten Partner. Jedes Paar bekommt in der Regel nur ein Jungtier pro Jahr. Es wird kurz vor Einsetzen der Regenzeit, im August oder September, geboren. Das Jungtier klammert sich ins Fell seiner Mutter und verbringt dort die ersten beiden Monate. Erst danach unternimmt es erste kleine Ausflüge in die Umgebung. Dabei beginnt es, zunächst im Spiel, sich für die Futterpflanzen seiner Eltern zu interessieren und zu erkunden, welche Früchte und Blätter essbar sind und welche nicht.
Mit etwa sechs Monaten wird das Jungtier entwöhnt. Die nächsten Monate lernt es, wie man sich in den Baumkronen bewegt, ohne hinunter zu fallen. Auch die sozialen Gepflogenheiten der Familie muss es sich aneignen. Für östliche Wollmakis ist die Familie das Wichtigste im Leben. Fast die Hälfte der Nacht verbringen sie mit gegenseitiger Fellpflege, sozialen Interaktionen oder gemeinsamen Ruhepausen. Niemand bewegt sich weit davon, auch während der Nahrungssuche bleiben alle stets dicht beieinander. Dabei sind stets nur Eltern und die beiden zuletzt geborenen Jungtiere zusammen. Größere Gruppen oder Zusammenschlüsse mehrere Familien gibt es bei Wollmakis nicht.
Mit ein bis zwei Jahren werden junge Wollmakis unabhängig. Bald gehen sie dann ihrer eigenen Wege. Jede Familie verfügt über ein sehr kleines Revier von nur 0,01 bis 0,02 km² – das scheint wenig, passt aber zu ihrer Standorttreue und ihrer geringen Körpergröße. Ausgewachsene östliche Wollmakis werden nicht einmal anderthalb Kilogramm schwer.
Die kleinen Lemuren sind tagsüber leichte Beute für Madagaskarhabichte. Ihre größte Bedrohung jedoch ist der Mensch und die Zerstörung des Lebensraumes. Derzeit findet man östliche Wollmakis noch im Nationalpark Andasibe-Mantadia, den benachbarten Schutzgebieten V.O.I.M.M.A. und Maromizaha sowie im etwas weiter an der Küste gelegenen Reservat Akanin’ny Nofy. Noch sind viele Familien der östlichen Wollmakis unterwegs – ob das jedoch so bleibt, ist ungewiss.