Man sieht ihn als Reisender eher selten auf Madagaskar: Den Karenyi. Ein unförmiges, klobiges, irgendwie an eine Mischung aus Kübelwagen und bunte Seifenkiste erinnerndes Auto. Es könnte auch aus dem Ideenfundus eines Lego-Herstellers stammen. Doch hinter dem skurrilen Gefährt steckt eine echte madagassische Geschichte.
Im Jahre 1984 gründete das staatliche Institut für Innovationen (Institut Malagasy de l’innovation, kurz IMI) die Firma Karenjy mit Sitz in Fianarantsoa, im südlichen Hochland Madagaskars. Triebfeder des Aufbau der dazugehörigen Werkstatt, Fiarafy, war der damalige sozialistische Staatspräsident Didier Ratsiraka. Karenjy war der erste Automobilhersteller in ganz Afrika, dessen Autos von der Konzeption bis zum Bau komplett auf dem roten Kontinent hergestellt wurden – und ist es noch heute. Die Autos sollten von Anfang an auf die Bedürfnisse der Madagassen zugeschnitten sein: Robust, geländegängig, wenig anfällig für Reparaturen, pflegeleicht, kein Luxus; vor allem sollten sie fahren und Menschen sicher über Madagaskars Schotterpisten bringen. Elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung, Navigationssysteme oder Airbags gehörten noch nie zur Ausstattung des Karenjys – auch wenn der Hersteller noch heute angibt, „europäischen Standard“ zu produzieren.
Der Name Karenjy bedeutet auf Deutsch soviel wie Spaziergang oder Bummel. Das Firmenlogo ziert ein Zebu, das heimliche Wahrzeichen der Insel. Es ist längst zum Spitznamen der Autos geworden. In den 80er Jahren wurden von Karenjy drei Modelle hergestellt: Der Iraka (übersetzt Botschafter), der Mazana (übersetzt robust, stark, gewöhnlich) und der Faoka (genannt Transporter). Schon 1985 stellte Karenjy auf der Automobilmesse in Paris die ersten beiden vor. Den Faoka gab es sogar in mehreren Varianten: Als Limousine Lanja, als Hardtop-Transporter Faoka und als Cabrio namens Kalesa. 1989 kam der Karenjy kurzzeitig zu lokaler Berühmtheit, als Papst Johannes Paul II. in einem zum Papamobil umfunktionierten Karenjy durch die Straßen von Fianarantsoa gefahren wurde.
Den politischen Umwälzungen Anfang der 90er Jahre fiel jedoch auch der Karenjy zum Opfer. 1993 wurden die Fabriktore geschlossen. Erst 2009 wurden der Karenjy durch Le Relais, einer französischen Hilfsorganisation, aus dem Dornröschenschlaf geholt. Mit der von Le Relais gegründeten Projektfirma Soatao GmbH sollte der Karenjy wieder zurück auf Madagaskars Straßen finden. Bis dahin war bereits ein Jahr war vergangen, in dem die alte Fabrikhalle repariert sowie Material und Werkzeuge angeschafft werden mussten. Erst 2009 konnte es losgehen mit den Planungen der neuen Karenjy-Modelle.
Von Anfang an wurde und wird jeder Karenjy vollständig in Handarbeit hergestellt. Produktionsroboter oder Fließbänder gibt es nicht. In Ankofafalahy, einem Stadtteil von Fianarantsoa, arbeiten heute rund 70 Mitarbeiter in der Produktion. Jede Karosserie wird aus Fiberglas und Polyester hergestellt, von Hand verschweißt und lackiert. Die Sitze werden von Hand zugeschnitten und mit selbst genähten Bezügen versehen. Nur Motor, Fenster und Reifen werden mangels passender Fabriken auf Madagaskar aus dem Ausland importiert. Gut einen Monat dauert es, bis ein fertiger Karenjy die Werkstatt verlassen kann.
Der erste neue Karenjy wurde der Tily, ein Auto auf Basis des Renault 18 und des Renault Express, beides Fahrzeuge der 80er Jahre. 2014 wurde der Karenjy Mazana II der Öffentlichkeit vorgestellt, 2016 waren die ersten davon zu kaufen. Wie sein Vorgänger ist der Mazana II ein Geländewagen mit Allradantrieb. Der 4-Zylinder-Diesel-Motor stammt aus einem Peugeot Citroën, und schafft Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h – es dürfte allerdings schwer werden, auf Madagaskar viele Straßen zu finden, auf der man die Höchstgeschwindigkeit des Mazanas tatsächlich fahren könnte. Neben dem normalen Modell soll der Mazana auch als Cabrio erhältlich sein. Auf Bestellung wird außerdem bereits der Karenjy Lanja hergestellt, ein Benziner mit dem Motor eines Renault Express. 2017 wurden speziell lackierte Mazana II an die Telefonnetzgesellschaft Orange und den Paketdienst DHL ausgeliefert, um Werbung für die Automarke zu machen.
Der Karenjy genießt, obwohl wegen seines kantigen Äußeren und seinem simplen Interieur umstritten, längst Kultstatus auf der Insel. Wer eins der wenigen Autos sein Eigenen nennen möchte, muss schon selbst nach Madagaskar kommen oder gleich dort wohnen: Exportiert wird der Karenjy nicht. Aktuell kostet ein Auto zwischen 4800 und 6800 €, womit man den billigen, importierten Gebrauchtwagen einen eigenen Markt entgegen setzen möchte. Im Gegensatz zu den Gebrauchtwagen gibt es auf einen nagelneuen Karenjy ein ganzes Jahr Garantie – oder 100.000 km weit. Allerdings muss man auf seinen Karenjy warten können: Die kleine Firma schafft nur einige Dutzend Fahrzeuge pro Jahr. In den nächsten Jahren soll die Produktion vervielfacht werden und bis zu 200 Karenjys schaffen.
- Hier kauft man einen Karenjy: Atelier Soatao, Ankofafalahy – BP1212, 301 Fianarantsoa
- Website von La Relais
- offizielle Website von Karenjy