In der Oberstadt von Antananarivo findet man heute das historische Zentrum der Stadt, Faravohitra. In diesem Stadtviertel stehen auch die beiden ältesten Häuser der Stadt. Sie liegen etwas unscheinbar an einem Hang. Beide Häuser wurden exakt so, wie sie heute noch stehen, wahrscheinlich schon Ende des 18. oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter König Andrianampoinimerina errichtet. Das Baumaterial war damals Holz, vermutlich Palisander oder ein anderes langlebiges Tropenholz. Der architektonische Stil nennt sich Kotona: An allen vier Ecken sowie mittig an zwei Seiten und genau in der Mitte des Hauses befinden sich schwere Holzpfähle, die das Grundgerüst mit dem Satteldach tragen. Die Wände sind aus Holzbrettern errichtet.
Zunächst wurden die Häuser wohl zur Lagerung von Waffen und Schießpulver unter König Radama I. verwendet. Erst unter Königin Ranavalona erfuhren die Häuser von Antsahatsiroa eine höhere Bedeutung. Um die Geschichte der beiden Häuser und ihrer berühmten Bewohner zu verstehen, muss man ein wenig tiefer in die Geschichte der Merina eintauchen.
1817 hatte König Radama I. in einem Vertrag mit England vereinbart, dass 20 junge Madagassen auf Mauritius und in England von der London Missionary Society (LMS) ausgebildet werden sollten. Die 20 Jungen wurden von König Radama I. persönlich auserwählt und entstammten Familien, die dem Königshof sehr nahe standen. Jeder bekam neben der schulischen Erziehung eine bestimmte Ausbildung im Handwerk zugewiesen, z.B. im Waffenhandwerk, in der Silberschmiede oder der Weberei. Nur zwei Jungen sollten später Hofbeamte werden – die Zwillinge Rahaniraka und Raombana.
Am 24.11.1820 brachen die damals gerade Elfjährigen mit dem Schiff auf. 1821 erreichten sie London. Zwei Jahre lang lernten die Jungen an der British and Foreign School Society und der Borough Road School. Danach landeten Rahaniraka und Raombana auf einem Gymnasium in Manchester. Im Alter von 20 Jahren kehrten die Zwillinge 1829 zurück nach Madagaskar. Der Volksmund behauptet heute spöttisch, sie hätten bei ihrer Rückkehr kein Wort Madagassisch mehr gesprochen.
Doch zurück zu den beiden ältesten Häusern Antananarivos. Sie standen ja bereits, als Rahaniraka und Raombana aus England zurück nach Madagaskar kamen. Den beiden wurden je eines der Häuser für sich und ihre Familie zugewiesen. Die Lage so nah am Rova (Königspalast) von Antananarivo war bereits zu Erbauungszeiten etwas Besonderes: Je näher Familien am Rova wohnten, desto höher war ihr Ansehen, Reichtum und Prestige in der damaligen Stadt. Rahaniraka und Raombana wurden wie geplant erst Gerichtsschreiber, später Sekretäre am Hofe Königin Ranavalonas I. und Hauslehrer ihres Sohns, dem späteren König Radama II. Raombana betätigte sich zudem als erster Historiker Madagaskars. Er schrieb detaillierte Berichte über alle Ereignisse am Königshof und verfasste Abhandlungen über das Königreich der Merina. Durch seine Ausbildung in England gewann Raombana einen eher kritischen Blick auf das Wirken Königin Ranavalonas I. Doch er verfasste seine Berichte in englischer Sprache, der die Königin und die Mehrheit des Hofes nicht mächtig waren, und entging so dem wachsamen Auge Ranavalonas I.
Raombana starb 1855. Rahaniraka starb sieben Jahre später als erster Außenminister Madagaskars unter König Radama II, 1862. In Rahanirakas Fußstapfen trat der Neffe von Raombana. Etwa zu dieser Zeit bekamen die Häuser von Antsahatsiroa wahrscheinlich ihre kreolisch anmutenden Veranden. Auch das Innenleben der Häuser wurde umgebaut: Im ursprünglich einstöckigen Merinahaus wurde ein weiterer Boden eingezogen, so dass das Dach als erster Stock funktionierte. Treppen nach oben wurden angebaut und kleine Dachgauben eingebaut. Durch die Umbauten wandelte sich das Aussehen der Häuser, doch sie wurden auch in den nächsten Jahrzehnten stets von Adeligen bewohnt.
Leider gibt es bis heute keinen Denkmalschutz für Privathäuser auf Madagaskar. Der Erhalt und die Restauration der historisch wertvollen Häuser bleibt damit ihren Bewohnern vorbehalten. Noch heute wohnen in den alten Häusern von Antsahatsiroa Familien, die wohl zum weiten Familienkreis von Rahaniraka und Raombana gehören. Eine Besichtigung ist daher nicht möglich. Wer einen Blick auf die beiden ältesten Häuser von Antananarivo erhaschen möchte, kann das in der Oberstadt von Antananarivo jedoch problemlos tun.