Brandneues

Die Blattnasennatter

Eine Nase, die irgendwie einem ausgefransten Blatt ähnelt und sich verbiegen lässt, und ein lang gestreckter Körper: Das sind die herausragendsten Merkmale der Blattnasennatter (Langaha madagascariensis), einem von vielen skurrilen Tieren auf Madagaskar. Der Zweck des bizarren Nasenfortsatzes ist bis heute nicht geklärt. Bei den Männchen ähnelt er eher einer Pinocchio-Nase anstatt eines Blatts.

Zeichnung aus der Erstbeschreibung von Bonnaterre (rechts)
Zeichnung aus der Erstbeschreibung von Bonnaterre (rechts)

Der Name der Art geht auf den französischen Pfarrer Pierre Joseph Bonnaterre zurück, der neben seinem geistlichen Amt auch als Zoologe am Pariser Museum arbeitete. Dorthin fanden viele Präparate aus Madagasakar, darunter eine Blattnasennatter. Bonnaterre beschrieb die Schlange 1790 zusammen mit mehr als 200 anderen neuen Arten. Er fand sie jedoch damals schon so eigenartig, dass er sie in eigene eigene Gattung stellte, Langaha. Blattnasennattern findet man verstreut an verschiedenen Orten Madagaskars, vor allem aber in den Regenwäldern des Norden der Insel bis in die Trockenwälder des mittleren Südwestens hinein. Selbst Inseln wie Nosy Be oder Nosy Boraha (St. Marie) hat die Blattnasennatter erobert. Ob sie trotz der weiten Verbreitung in ihrem Bestand bedroht ist, weiß jedoch niemand. Für eine Gefährdungs-Einstufung auf der roten Liste der IUCN fehlen schlicht ausreichend Daten.

Die Blattnasennatter ist perfekt an die Lebensweise auf Bäumen und Sträuchern angepasst: Sie ist schlank, bis zu 1,20 m lang und besteht fast nur aus Muskeln. Die Männchen sind etwas farbenfroher mit rotbraunem Rücken und gelbem Bauch, während die Weibchen vor allem braune und beige Tarnfarben tragen. Am Tage ruht die Blattnasennatter im Geäst – dank ihres schlanken Körpers kann man sie leicht mit einem Ast verwechseln. Erst in der Dämmerung wird sie aktiv und lauert Fröschen, kleineren Reptilien oder seltener Vögeln auf. Wenn das Beutetier nur noch wenige Zentimeter vor der Blattnasennatter ist, attackiert sie es blitzschnell. Blattnasennattern sind nicht gefährlich für den Menschen, besitzen aber im hinteren Bereich des Oberkiefers Giftzähne. Ihr Gift reicht beim Menschen, sofern dieser nicht allergisch reagiert, lediglich für eine Schwellung und Schmerzen ähnlich denen eines Wespenstiches. Und selbst dazu muss die Schlange ein wenig auf ihrem Opfer herumkauen und das Gift regelrecht einmassieren. Für den durchschnittlichen Reisenden sind die Tiere daher weitestgehend harmlos, zumal sie eher ruhig und wenig angriffslustig sind. Für kleine Beutetiere wie Geckos oder Madagaskar-Leguane ist das Gift jedoch tödlich, und diese Tiere enden schließlich im Magen der Natter.

Langaha madagascariensis 5
Weibliche Blattnasennatter an der Ostküste Madagaskars

Zu Beginn der Regenzeit suchen die Männchen nach Weibchen, um sich mit ihnen zu paaren. Zwischen fünf und zehn Eier legt ein Weibchen pro Gelege, und sie kann gleich mehrere davon in jeder Regenzeit produzieren. Die weichschaligen, länglichen Eier werden aneinander klebend ins Laub abgelegt und vom Weibchen fortan nicht mehr beachtet. Nach rund zwei Monaten schlüpfen in der Dunkelheit der Nacht die jungen Blattnasennattern. Beim Schlupf liegt der namensgebende Nasenfortsatz noch eng abgeknickt dem Gesicht an und muss in den nächsten 36 Stunden erst „aufgestellt“ werden. Man vermutet, dass die Schlangen so leichter ihren Eizahn zum Anritzen des Eis und damit zum Schlupf nutzen können.

Die kleinen Blattnasennattern wiegen nach dem Schlupf kaum zwei Gramm, versorgen sich aber sofort selbstständig mit Nahrung und schützen sich vor größeren Schlangen und Beutegreifern, indem sie sich auf besonders dünnen Ästchen aufhalten. Schon als Jungtiere zeigen Blattnasennattern außerdem ein eigenartiges Ruheverhalten: Sie hängen sich kopfüber kerzengerade von einem Ast, und ähneln dann sehr stark den langen Samen einiger auf Madagaskar heimischer Pflanzen. Welchen Zweck dieses Verhalten genau hat, ist jedoch genau wie der eigentümliche Nasenfortsatz bisher unerforscht.

Um Langaha madagascariensis zu sehen, sind die Nationalparks Ankarafantsika, Lokobe und Zombitse-Vohibasia sowie die Reservate Kirindy und Akanin’ny Nofy gut geeignet. Ein bisschen Geduld und einen guten Guide wird man allerdings brauchen, denn die Tarnung der Blattnasennatter ist wirklich erstaunlich.

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