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Die Linkshänder-Lemuren: Coquerel-Sifakas

Mit ihrem typischen, teddybärenhaftem Aussehen wickeln Sie so manchen Reisenden um den Finger: Coquerel-Sifakas (Propithecus coquereli) tragen ein plüschiges, schneeweißes Fell, wobei die Oberseiten der Arme und Oberschenkel sowie die Brust tief schokoladenbraun gefärbt sind. Mit bis zu einem halben Meter Kopf-Rumpf-Länge – dazu kommt ein weiterer halber Meter Schwanz – sowie rund 4 kg Körpergewicht gehören sie insgesamt zu den kleineren Sifakas. Ihre Heimat ist der Nordwesten Madagaskars, genauer gesagt die Trockenwälder zwischen dem großen Fluss Betsiboka und dem etwas kleineren Maevarano.

Coquerel-Sifakas
Coquerel-Sifaka im Nationalpark Ankarafantsika

Erstmals beschrieben wurden die schönen Sifakas 1867 vom berühmten französischen Forscher Alfred Grandidier, der mehrere Male nach Madagaskar gereist war und dort viele Pflanzen– und Tierarten entdeckt hatte. Er benannte die Lemuren nach dem Pfarrer, Militärarzt und engagierten Insektenforscher Charles Coquerel, den Grandidier sehr schätzte. Coquerel war im gleichen Jahr auf La Réunion an einer Tropenkrankheit verstorben.

Die nach ihm benannten Sifakas jedoch gibt es noch heute, und sie springen und klettern genau wie damals sehr geschickt zwischen den Bäumen umher. Die Lemuren leben meist in Familienverbänden von drei bis zehn Tieren, es gibt aber auch gemischt zusammengesetzte Gruppen. Treffen sich bekannte Coquerel-Sifakas nach längerer Zeit wieder, reiben sie ihre Nasen zur Begrüßung aneinander. Jede Gruppe verfügt über ein Revier von 0,04 bis 0,09 km², die mittels Duftdrüsen markiert werden. Wenn es sein muss, werden die Grenzen gegen andere Lemurengruppen, selbst wenn diese einer anderen Art angehören, sehr aggressiv verteidigt.

Anführer einer Coquerel-Gruppe sind stets Weibchen, und selbst das rangniedrigste Weibchen steht in der Hierarchie der Sifakas immer noch über dem höchsten Männchen. Die Damen der Schöpfung vertreiben Männchen von bevorzugten Fress- und Schlafplätzen, und letztere beschwichtigen die Weibchen mit zwischen den Beinen eingerolltem Schwanz und leisen Schnattergeräuschen bei gebleckten Zähnen. Selbst die Paarung im Januar und Februar, also zu Ende der Regenzeit, wird von den Weibchen bestimmt: Sie sucht sich ihren Partner nach ganz eigenen Gesichtspunkten aus, und wer bei den Männchen einen Konkurrenzkampf gewonnen hat, darf sich deswegen noch lange nicht mit der Angebeteten paaren. Jedes Weibchen paart sich in der Regel mit mehreren ausgesuchten Männchen. Von wem das spätere Jungtier ist, kann man daher nur schwierig feststellen – nicht selten sind es Kinder fremder, nur kurz vorbeigezogener Coquerel-Sifaka-Gruppen.

Coquerell-Sifaka 4
Sifaka-Baby im Fell seiner Mutter

Nach rund fünfeinhalb Monaten bringen die Weibchen in der Trockenzeit, im Juni oder Juli, ihre Jungen zur Welt. Jedes Weibchen gebärt nur ein einziges Baby, um das sie sich hingebungsvoll kümmert. Den ersten Monat über klammert sich das Kleine an den Bauch der Mutter, aber schon nach vier Wochen traut es sich auf ihren Rücken und erkundet auf ersten Ausflügen seine Umwelt. Nur fünf oder sechs Monate lang werden die jungen Coquerel-Sifakas gesäugt, dann müssen sie sich ihre eigene Nahrung suchen. Ausgewachsen sind die hübschen Teddy-Lemuren schon mit einem Jahr, geschlechtsreif werden sie jedoch erst mit drei bis vier Jahren.

Den größten Teil des Tages verbringen Coquerel-Sifakas mit der Futtersuche. Sie ernähren sich rein vegetarisch, und entsprechend viel Zeit müssen sie für das Abweiden geeigneter Pflanzen aufbringen. Knapp einen Kilometer legen sie pro Tag auf diese Weise zwischen den Baumkronen zurück. Der Speiseplan wechselt mit der Regen- und Trockenzeit auf der roten Insel von Blüten, Knopsen und Früchten bis hin zu Blättern und trockener Baumrinde.

Heute sind die Coquerel-Sifakas laut IUCN vom Aussterben bedroht, auch wenn allein im Nationalpark Ankarafantsika noch geschätzte 47.000 Individuen leben. Der Nordwesten Madagaskars als ihr einziger Lebensraum weltweit ist in viele kleine Waldfragmente zersplittert, zwischen denen die Lemuren kaum wechseln können. Der genetische Austausch der gesamten Population ist damit stark eingeschränkt. Die verbliebenen Trockenwälder stehen außerdem nur zu einem sehr kleinen Teil unter Schutz, so dass der bereits stark zurückgegangene Lebensraum der Coquerel-Sifakas immer weiter schwindet. Die weit verbreitete Abholzung für Kohle und Ackerland fordert unerbittlich ihren Tribut.

Coquerel Sifakas
Junges Coquerel-Männchen

Ein kleiner Lichtblick ist jedoch vorhanden: Im Gegensatz zu vielen anderen Lemurenarten sind Coquerel-Sifakas weniger wählerisch, was ihre Nahrung angeht. Sie können sich auch von den Blättern, Knopsen und Früchten eingeschleppter, ursprünglich nicht auf Madagaskar heimischer Baumarten ernähren und sind wenig scheu, aber dafür umso neugieriger, so dass sie vielerorts bis an die Ortsränder von Dörfern herankommen. Sekundärvegetation wird von ihnen gut genutzt, und selbst in Mangroven konnten Coquerel-Sifakas schon beobachtet werden. Zudem gehören Coquerel-Sifakas zu den am besten erforschtesten Lemuren Madagaskars, da sie in einigen wenigen Zoos weltweit gehalten, vermehrt und untersucht werden. Federführend ist dabei das Duke Lemur Center in Durham, England, von dem alle anderen Coquerels in anderen Zoos in den USA abstammen. In den letzten Jahren wurde viel an Essgewohnheiten, Sozialverhalten und Kommunikation der Coquerel-Sifakas geforscht. Zu den bisherigen Veröffentlichungen gehört sogar eine Abhandlung, die feststellt, dass die meisten ausgewachsen Coquerel-Männchen und einzelne Weibchen Linkshänder sind – in Gefangenschaft zumindest. Wie es in der Wildnis Madagaskars aussieht, bleibt noch zu erforschen.

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