Brandneues

Heimliche Könige des Nordens: Goldkronen-Sifakas

In einem unglaublich heißen, trockenen und unzugänglichen Gebiet im Nordosten Madagaskars leben weiße Lemuren, die ihren Namen dem goldfarben Fell auf ihren Köpfen verdanken: Die Goldkronen-Sifakas (Propithecus tattersalli). Die heimlichen Könige des Nordens erreichen eine Körpergröße von gerade mal 95 cm bei einem Gewicht von 3,5 kg, wobei noch weitere 45 cm Schwanz dazu kommen. Sie gehören damit zu den kleinsten Sifakas. Ihre Gesichter, Füße und Hände sind stets schwarz und unbehaart. Sie wurden erst 1974 erstmals von ihrem Namensgeber, Dr. Ian Tattersall, entdeckt und damals für eine Variante des Diadem-Sifakas (Propithecus diadema) gehalten. 1988 erkannten Biologen, dass es sich um eine eigenständige Art handelt.

Weibchen mit Jungtier
Weibchen mit Jungtier

 

Der Lebensraum der Goldkronen-Sifakas beschränkt sich ausschließlich auf wenige kleine Reste von Trockenwald nördlich von Vohémar, begrenzt von den beiden Flüssen Loky im Norden und Manambato im Süden. Das Hauptverbreitungsgebiet liegt nahe des Dorfes Daraina, stets auf Höhen deutlich unter 700 m.

Über die Fortpflanzung, Kommunikation und Sozialgefüge dieses stark bedrohten Lemurs ist noch nicht allzuviel bekannt, und vieles basiert nur auf Vermutungen oder Beobachtungen verwandter Lemuren-Arten. Sicher ist, dass Goldkronen-Sifakas in sozialen Verbänden von drei bis zehn Tieren leben. Meist handelt es sich dabei um zwei adulte Pärchen und deren Nachwuchs unterschiedlichen Alters. Die Weibchen sind die Herrscherinnen der Clans, und bestimmen über Futter, ihre eigenen Sexualpartner und Tagesablauf. Das Revier einer Gruppe nimmt rund 0,09 bis 0,12 km² ein. Konfrontationen zwischen verschiedenen Gruppen verlaufen mit Imponiergehabe, aber meist ohne körperliche Auseinandersetzungen. Um Grenzen zu markieren, setzen männliche Goldkronen-Sifakas Duft- und Urinmarken – wie viele andere Sifakas verfügen sie über Brustdrüsen, die diesen Körperbereich dunkler verfärben. Die Damen der Schöpfung begnügen sich bei den Goldkronen-Sifakas mit der Markierung mittels Analdrüsen. In der gleichen Region kommen neben anderen Goldkronen-Sifakas auch Sanford-Makis (Eulemur sanfordii) und Kronenmaki (Eulemur coronatus) vor.

Die Familien der  Goldkronen-Sifakas verbringen viel Zeit mit gegenseitiger Fellpflege, der Versorgung ihrer Jungtiere und natürlich dem wichtigsten Tagesgeschehen, der Futtersuche. Der königliche Speiseplan ist rein vegetarisch, und reicht über das Grün von gut 80 Pflanzenarten bis hin zu gelegentlichem Verzehr von Baumrinde. Unreife Früchte und Samen machen dabei über die Hälfte des Futters aus. Die meiste Zeit des Jahres leben Goldkronen-Sifakas in einem strengen Tag-Nacht-Rhythmus. Während der Regenzeit jedoch verschiebt sich die Futtersuche oft in die Morgendämmerung und bis in die Nacht hinein, um die futterreiche Saison möglichst ergiebig auszukosten.

Nahaufnahme eines jungen Männchens in Loky Manambato

 

Geschlechtsreif werden Goldkronen-Sifakas vermutlich mit zwei bis drei Jahren. Zum Ende der Regenzeit, meist Ende Januar, paaren sie sich. Die Weibchen können nur einmal im Jahr für eine sehr kurze Zeit befruchtet werden, was die Fortpflanzungsrate dieser Tiere stark einschränkt. Nach etwa fünfeinhalb Monaten wird ein einziges Jungtier pro Gruppe geboren, das ein halbes Jahr lang von seiner Mutter versorgt wird. Zunächst hängt es an ihrem Bauch, aber schon nach drei Wochen klettert das Junge auf den Rücken seiner Mutter, unternimmt erste Ausflüge und lässt sich durch die große weite Welt tragen.

Zum Schlafen ziehen sich Goldkronen-Sifakas bevorzugt auf große, schlanke Bäume zurück, die über das Blätterdach des übrigen Waldes ragen. Wie bei allen Primaten ist ihre Kommunikation vielfältig und besteht aus Gestik, Lauten und Mimik. Sechs verschiedene Rufe sind bisher vom Goldkronen-Sifaka bekannt, darunter Warnsignale wie das „shee-fak“ für Angreifer in Bodennähe. Bei Stress grunzen die Tiere und geben wiederholt „churr“-Laute ab, die bei andauernder Erregung in lautes, schrilles Wimmern übergehen können.

Goldkronen-Sifaka
Ein Goldkronen-Sifaka hält Ausschau nach Raubvögeln

 

Goldkronen-Sifakas werden seit fast 20 Jahren auf der roten Liste der IUCN als „critically endangered“, also vom Aussterben bedroht, geführt. Schätzungen beliefen sich bereits 2002 auf nur 6.000 bis maximal 10.000 übrig gebliebene Individuen. Nur ein winziger Teil ihres Lebensraums steht unter Schutz und wird von der nichtstaatlichen Organisation Fanamby betreut. Leider steht dieser Schutz nur auf dem Papier, den direkt unter den Lemuren versuchen bereits die Menschen, in dieser trockenen und unfruchtbaren Region nach Gold zu graben. Die letzten Reste des Trockenwaldes werden gefällt, um Brennholz zu erhalten oder Hütten zu bauen. Wird der Hunger in der Trockenzeit zu groß, jagen zugezogene Goldgräber die Lemuren wegen ihres Fleisches – für die hier ursprünglich lebenden Volksgruppen sind die akomba malandy (die weißen Lemuren) bisher noch fady, also tabu. Trotz der unwirtlichen Bedingungen und der immer weiter fortschreitenden Bedrohung können die Goldkronen-Sifakas ihr Reich nicht verlassen – wie verlorene Könige sitzen sie auf ihren Bäumen und ziehen sich in die letzten übrigen Fleckchen Wald zurück. Davon wird bald nichts mehr übrig sein, wenn nicht schnell ein wirksamer Schutz der Flächen samt besserer Infrastruktur für sinnvollen Ökotourismus zustande kommt. Schon jetzt besiedeln die Goldkronen-Sifakas den kleinsten Lebensraum aller Lemuren Madagaskars.

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