Lemuren dürften die berühmtesten Säugetiere Madagaskars sein – nicht umsonst, denn es gibt sie ursprünglich ausschließlich dort und nirgends anders auf der Welt. Sie gehören zu den Feuchtnasenaffen und teilen sich in rund 100 verschiedene Arten auf. Das Wort lemures kommt aus dem Lateinischen und bezeichnet die Totengeister des alten Roms, die allerdings bis auf ihre großen Augen wenig Ähnlichkeit mit den possierlichen Lemuren von heute haben.
Lemuren besiedeln vornehmlich Wälder, dies können aber sowohl Trocken- als auch Dorn- oder Regenwälder sein. Genauso variabel sind Aktivität und Ernährung – manche Arten fressen nur Blätter und Früchte, andere ergänzen den Speiseplan gern mit ein paar Insekten oder sogar Vögeln. Mit etwas Glück sieht man Lemuren in den vielen Nationalparks zwischen den Baumkronen hin- und herspringen oder hört morgens ihre aufgeregten Rufe. In einigen Regionen sind sie neugierig genug, sich dem Menschen in freier Natur bis auf wenige Meter zu nähern. Bis auf wenige Ausnahmen leben Lemuren in Gruppen oder Paaren zusammen – und zeigen ein ausgeprägtes Sozialverhalten.
Unter den rezenten Lemuren gibt es vier Familien. Das sind zum Einen die sogenannten Katzenmakis (Cheirogaleidae), die nachtaktiv und relativ klein sind. Zu den Katzenmakis gehören die Gabelstreifenmakis, die Fettschwanzmakis, der Büschelohrmaki, zwei Arten Riesenmausmakis und die winzigen Mausmakis. Letztere findet man fast überall auf Madagaskar nachts in den Bäumen umher springen. Zu ihnen gehört auch Madame Berthes Mausmaki, der mit gerade mal 30 g Körpergewicht nicht nur der kleinste Lemur Madagaskars, sondern auch der kleinste Primat der Welt ist. Ungewöhnliches findet man aber auch bei anderen Arten: Die Fettschwanzmakis zum Beispiel halten als einzige Primaten eine Art Winterruhe während der Trockenzeit.
Eine zweite Familie von Lemuren sind die eigentlichen Lemuren oder „gewöhnlichen Makis“. Zu ihnen gehören bekannte Arten wie rote und schwarz-weiße Varis, die man in Zoos weltweit finden kann. Auch das Maskottchen Madagaskars, der Katta mit seinem schwarz-weiß geringeltem Schwanz, gehört zu dieser Familie. Er ist eine Ausnahme, lebt er doch vorwiegend auf dem Boden statt in den Bäumen. Unter den gewöhnlichen Makis findet man außerdem natürlich alle Lemuren, die den „Maki“ tatsächlich im Namen haben. Dazu zählen unter anderem brauner Maki, Kronen-, Blauaugen-, Mohren-, Rotstirn- und Rotbauchmaki. Ähnlich klein und weit verbreitet und jeweils ganz spezifisch an ihren Lebensraum angepasst sind die Bambuslemuren. Sie können sich, wie der Name schon verrät, von Bambus ernähren, obwohl Bambus enorme Mengen an Blausäure enthält. Dabei vertilgen sie Mengen an Blausäure, die einen Menschen problemos töten könnte. Wie genau die niedlichen Lemuren das Gift in ihrem Futter unschädlich machen, ist bisher unbekannt. Faszinierend ist jedoch, dass jede Bambuslemuren-Art einen anderen Teil der Pflanze frisst. Die einen fressen die Blätter, die anderen Blüten und Knospen, die nächsten mögen am liebsten Schösslinge.
Die dritte Familie der Lemuren sind die Indriartigen. Zu ihnen gehören die nachtaktiven und tagsüber perfekt versteckten Wollmakis sowie der größte Lemur Madagaskars, der Indri. Mit seinen lauten, durch den Wald schallenden Gesängen bleibt er den meisten Reisenden wohl am eindrucksvollsten in Erinnerung. Bis zu 10 kg bringen die sanften Riesen der roten Insel auf die Waage. Die zweitgrößten Lemuren der Insel, aber leider alle bereits vom Aussterben bedroht, sind die Sifakas. Zu ihnen gehören neun Arten: Die Seidensifakas, die man auch die Engel des Waldes nennt, die Diademsifakas, der Edwards-Sifaka, der bärchenhafte Coquerel-Sifaka, Von-der-Decken-Sifakas, Kronensifakas, Larvensifakas und Goldkronensifakas. Der schwarze Sifaka gehört zu den seltensten Primaten der Welt. Die Art verfügt über weniger als 155 noch lebende Individuen, die absolut letzten ihrer Art.
Die vierte und letzte Familie der Lemuren sind die Wieselmakis. Auf Madagaskar kennt man sie fast nur als „sportive lemurs“. Sie sind nachtaktiv, tagsüber findet man sie verschlafen aus ihren Baumhöheln blinzeln. Jede Region hat ihre eigene Art Wieselmaki.
Außenseiter unter den Lemuren und ein sehr skurriler Vertreter ist das Fingertier oder Aye-Aye, rundherum ein sehr besonderer und extrem selten anzutreffender Waldbewohner. Mit seinen großen, gelben Augen, dem zottigen Haar und dem überlangen Mittelfinger wirkt das Aye-Aye wie ein bizarres, nachtaktives Fabelwesen. Wer dieses Wesen einmal auf Madagaskar zu Gesicht bekommt, kann sich glücklich schätzen.
Die Vielfalt unter den vielen Lemuren Madagaskars ist enorm groß. Jede Art hat ihre Besonderheiten und ihre eigene ökologische Nische, in die ihre Lebensgewohnheiten genau hinein passen. Leider sind jedoch nicht nur die Sifakas stark bedroht. Ihre Lebensräume schwinden immer weiter durch Brandrodung, Abholzung und Siedlungsausbau. Einige Arten werden zum Verzehr gejagt, andere wie das Aye-Aye werden aus Aberglauben absichtlich getötet, sobald Einheimische sie finden.Von vielen Arten weiß man jedoch noch gar nicht viel und kennt wenig über ihre Sozialgefüge, ihre Kommunikation, Ernährung oder Fortpflanzung. Hier gäbe es noch viel zu forschen und herauszufinden, zu fotografieren und dokumentieren. Die Waldgeister Madagaskars warten!