Schon 1802 entdecken die französischen Kolonialisten auf Madagaskar eine einzigartige, weiß blühende Orchidee, deren wachsartige Blüte im Durchmesser auf gute 12 cm kam. Sie hatten noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Und so war es auch ein Franzose namens Du Petit-Thouars, der 20 Jahre später erstmals eine Beschreibung der eigentümlichen Blume niederschrieb. Er nannte sie Angraecum sesquipedale oder Stern von Madagaskar.
Das Außergewöhnliche an dieser Orchidee sind auch heute noch ihre riesigen, sternförmig angeordneten weißen Blüten mit einem bis zu 45 cm langem, dünnen Sporn. Genau dieser Sporn gab den Forschern lange Rätsel auf: Welches Tier sollte fähig sein, an den so tief versteckten Nektar zu kommen? Die Länge des Sporns der Orchidee war auch namensgebend: sesquipedalis bedeutet soviel wie „anderthalb Fuß“. Wie so oft wurden die schönen Pflanzen aus Madagaskar mitgenommen und bis nach England gebracht, wo Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals gelang, eine davon zum Blühen zu bringen. Charles Darwin selbst war einer der Forscher, der den „Stern von Madagaskar“ untersuchte und die These aufstellte, es müsse einen Falter mit passend langem Rüssel zur Orchidee geben. Damalige Kollegen verspotteten ihn ob dieser bizarren Idee. Viele Jahre später wurde das Geheimnis gelöst: Zwei deutsche Zoologen entdeckten tatsächlich einen braunen, unauffälligen Falter mit einem bis zu 28 cm langem Rüssel, den das Tier eingerollt trägt. Der Falter wurde Xantophan morganii praedicta getauft und hat sich evolutionär ganz exakt an seine Orchidee angepasst. Es dauerte dann aber noch bis 1997, bis auch fotografisch der Beweis erfolgte, dass genau dieser Falter den Nektar des Sterns von Madagaskar saugt. Die Pollen der Orchidee kleben sich dabei an den Rüssel des Falters, der diese dann mit zum geschlechtlichen Gegenstück des Sterns von Madagaskar nimmt und so die Pflanzen befruchtet.
Auf Madagaskar findet man diese wunderschöne Orchidee blühend am besten zu Beginn der Regenzeit im Oktober und November – die Nationalparks Betampona oder Mananara bieten dazu Gelegenheit. Zwar ist schon ab Juni mit der Blüte zu rechnen, aber während dieser Zeit ist das Klima enorm heiß für europäische Reisende. Auch in nicht geschützten Gebieten kann man den Stern von Madagaskar finden, zum Beispiel in Ivoloina nahe Toamasina (früher Tamatave). Seine nördlichste Verbreitung hat er wahrscheinlich auf der Insel Nosy Boraha (St. Marie), wo die Orchidee in vielen Gärten kultiviert wird. Außerhalb der Ostküste Madagaskars gibt es keinen Ort auf der Welt, wo diese besondere Pflanze natürlicherweise vorkommt.
Der typische Standort des Sterns von Madagaskars ist Regenwald oder Sekundärvegetation bis maximal 100 m über NN mit sandigem Boden und hoher Luftfeuchtigkeit. Er kann mit seiner Größe von rund einem Meter sowohl auf bemoosten Bäumen (meist in Kopfhöhe) wachsen, als auch (seltener) direkt im Boden wurzeln. Oft wachsen die Pflanzen in direkter Nähe einer weiteren Orchidee, Angraecum eburneum. Wer sich nachts auf die Suche nach dem Stern von Madagaskar macht, wird auch den süßlichen Duft riechen können. Tagsüber ist der Geruch weniger zu erschnuppern.
Durch die starke Bedrohung der Regenwälder durch Brandrodung, Schlag von Brennholz und Tropenholz für den internationalen Handel sowie den illegalen Export geschützter Pflanzen und Tiere ist auch die Population der Xantophan-Falter stark zurückgegangen. Dies und der immer weniger werdende Lebensraum hat für den Stern von Madagaskar zur Folge, dass immer weniger Pflanzen befruchtet werden und die Vermehrung dieser wunderschönen Orchidee in den letzten Jahrzehnten auf einen Bruchteil geschrumpft ist. Aktuell gibt es nur wenige Projekte zum effektiven Schutz der Lebensräume und der Kultur sowie Vermehrung von bedrohten Orchideen auf Madagaskar. Denn nicht nur der Stern von Madagaskar ist schützenswert, die Insel beherbergt noch mehr als 1000 andere Orchideen-Arten.