Man muss schon sehr genau hinschauen, um diesen madagassischen Tarnungskünstler zu entdecken. Achrioptera impennis, das ist der wissenschaftliche Name, sieht aus wie ein trockener Ast. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein lebendiges Tier. Achrioptera impennis gehört zu den Stabschrecken (Phasmatodea). Das sind Pflanzen fressende, harmlose Insekten, die sich durch ihr extrem täuschendes Äußeres perfekt mitten in ihrem eigenen Futter tarnen. Man nennt diese Tarnung Phytomimese.
Auf Madagaskar leben etliche Arten von Stabschrecken. Achrioptera impennis ist wahrscheinlich eine der größten unter ihnen. Auf beeindruckende zwanzig Zentimeter Körperlänge können es einzelne Weibchen schaffen. Und dabei sind die Arme und Beine noch nicht einmal mitgemessen! Die Männchen bleiben mit durchschnittlich zehn Zentimetern etwas kleiner. Sie tragen außerdem Flügel, sind aber auf Grund ihres für ein Insekt schweren Körpers flugunfähig.
Um ihre Tarnung gegenüber Vögeln und Reptilien nicht auffliegen zu lassen, bewegen sich wandelnde Äste möglichst langsam. Sie wiegen dabei leicht vor und zurück, um einen dünnen Ast im Wind zu imitieren. Auch beim Fressen bewegen sie sich so wenig wie möglich: Nur der Kopf fährt am Rande des Futterblattes entlang. Dazu sind wandelnde Äste nachtaktiv. Tagsüber ruhen sie im Gebüsch. Sollte doch einmal eine neugieriges Chamäleon zuschlagen, so verfügt Achrioptera über eine bemerkenswerte Fähigkeit: Verliert die Stabschrecke einen Arm oder ein Bein, so kann sie es mit der nächsten Häutung nachwachsen lassen. Diese Fähigkeit besteht jedoch nur bei Nymphen, also noch nicht ausgewachsenen wandelnden Ästen.
Wer die Art auf Madagaskar finden will, sollte sich im Frühjahr in den Savannen von Isalo auf die Suche machen. Im trockenen Süden Madagaskars befindet sich die Heimat der wandelnden Äste. Ihre Fortpflanzungssaison ist die Regenzeit, wenn sie viel zu essen finden. Das ist auch die Zeit, in der die Weibchen die meisten Eier legen. Die kleinen, braunen Kapseln fallen einfach zu Boden und bleiben dort liegen. Sie ähneln Pflanzensamen und sind daher kaum mit dem Auge auszumachen. Erst zu Beginn der nächsten Regenzeit schlüpft die nächste Generation wandelnder Äste.