Der Süden Madagaskars hat viele skurrile, meist wasserspeichernde Pflanzen hervorgebracht. Eine ganz besonders eigenartige ist Cyphostemma montagnacii, deren Form nicht von dieser Welt zu sein scheint: Ein knorriger, kleiner Stamm geht in meterlange Ranken über. Tatsächlich gehört die skurrile Pflanze zu den Weinrebengewächsen. Ihre Äste brauchen einen Baum, an dem sie emporranken und sich abstützen können. All das erkannte schon der Erstbeschreiber, der französische Botaniker Bernhard Descoings. Er widmete die Pflanze seinem Landsmann Montagniac, der 1962 gerade Direktor des landwirtschaftlichen Dienstes in Toliara war.
Das Hauptverbreitungsgebiet von Cyphostemma montagnacii liegt dementsprechend im Süden Madagaskars, südlich der Großstadt Toliara (Tuléar) bis zur Bucht von St. Augustin und entlang des Flusses Onilahy ein wenig nach Osten. Auch in Tsimanampetsotsa soll es einige Exemplare geben. Das gesamte Verbreitungsgebiet liegt nicht höher als 150 m über dem Meeresspiegel. Früher mit Dornwäldern bewachsen, ist die Landschaft um Toliara durch Brandrodung und Holzschlag heute weitflächig kahl, lediglich ein paar Büsche und Gras bedecken den harten Kalksteinboden. Hier und da jedoch sind kleine Reste des Dornwaldes geblieben.
Cyphostemma montagnacii hat sich an die trockene Landschaft der Dornwälder perfekt angepasst. Die Blätter sind klein und dickfleischig, sie wachsen erst mit Beginn der Regenzeit. Im November treiben sie relativ schnell aus, die Pflanze bildet dann kleine gelbe Blüten. Alle Blüten sind Zwitter. Anfang Februar sind bereits kleine runde Früchte an den langen Ranken. Sie sind essbar und schmecken süßlich, werden allerdings von den Madagassen nicht besonders häufig verzehrt. Die Samen sind anderthalb bis zwei Zentimeter lang, auf einer Seite gefurcht wie eine Kaffeebohne und haben eine korkartige Oberfläche. Schon im März ist der Spuk wieder vorbei und der Baum weitestgehend kahl.
Das Geheimnis von Cyphostemma montagnacii ist der untere Teil der Pflanze: Der kurze, dicke Stamm geht in eine bauchige Knolle über, die einen riesigen Hohlraum unter der Erde bildet. In der Regenzeit füllt sich dieser bis zu ein Meter breite Hohlraum vollständig mit Wasser. Über 50 Liter kann eine einzige, alte Pflanze fassen. Die Knolle liegt bis zu einem halben Meter tief in der Erde. Cyphostemma montagnacii sorgt damit vor für die lang anhaltende Trockenzeit, die im Süden Madagaskar viele Monate andauert. Der madagassische Name der Pflanze ist „Mangeboka“. Es bedeutet übersetzt so viel wie „für sich behalten“: Ein passender Name für eine Sukkulente.
Hier und da wird die Pflanze von den Mahafaly und Antandroy in besonders schlimmen Dürren aufgeschlagen: Ihr Wasser ist dann Lebensretter. Wer allerdings versucht, eine ausgewachsene Cyphostemma montagnacci einfach mitzunehmen, wird enttäuscht: Es ist fast unmöglich, die große Knolle ohne Beschädigung auszugraben. Pflanzen, deren Knolle zerstört wurde, sterben über kurz oder lang, da ihr Wasserspeicher versiegt – sie verdorren.
Seit Jahren wird versucht, Cyphostemma montagnacii für den kommerziellen Export als Zierpflanze zu vermehren. Madagassen aus armen Verhältnissen sammeln einzelne Pflanzen, vor allem junge Setzlinge, in der Natur und verkaufen sie für geringe Summen an Händler. 2011 wurde eine Studie veröffentlicht, die das Vorkommen einiger südmadagassischer, kommerzialisierter Sukkulenten untersuchte. Es stellte sich heraus, dass Cyphostemma montagnacii mit nur noch 25 Individuen pro Hektar im natürlichen Lebensraum gefunden werden konnte. Gerade einmal 200 km² kommen überhaupt noch als Lebensraum in Frage. Die Autoren sprachen die Empfehlung aus, die Pflanze auf der roten Liste der IUCN als „vom Aussterben bedroht“ zu führen. Tatsächlich ist Cyphostemma montagnacii bis heute nicht einmal auf der roten Liste existent, und darf als Anhang II des Washingtoner Artenschutzabkommen nach wie vor gehandelt werden. So anpassungsfähig Cyphostemma montagnacii scheint, so anfällig ist die Pflanze jedoch gegenüber zerstörtem Lebensraum. Auf brachliegendem Buschland kann sie nicht überleben. Einige Schutzgebiete wie das Arboretum Antsokay versuchen seit vielen Jahren, die Pflanze vor dem Aussterben zu bewahren. Ob es gelingen wird?