Brandneues

Die 1000 Orchideen von Madagaskar

Madagaskar, die Tropeninsel im Indischen Ozean, ist eher bekannt als Land der Baobabs. Tatsächlich ist Madagaskar aber auch ein Paradies für Orchideen. Aktuell sind über 1000 verschiedene Arten von der Insel beschrieben, die zu über 90% endemisch sind, also nur auf Madagaskar vorkommen. Der Name Orchidee hat übrigens einen wenig rühmlichen Ursprung. Er stammt vom griechischen Wort όρχις orchis für Hoden. Der Philosoph Theophrastus von Eresos hatte die zu den Orchideen gehörenden Knabenkräuter so benannt, weil ihn die beiden runden Wurzelknollen an menschliche Hoden erinnerten.

Orchidee, Vanilla planifolia
Eine Blüte von Vanilla planifolia in Antalaha

Aber zurück zu den schönen Seiten! Orchideen sind vor allem bekannt für ihre wunderschönen Blüten: Man nennt sie deshalb auch die Königinnen der Blumen. Die Blüten bestehen aus Kronblättern (Petalen), Kelchblättern (Sepalen) und dem Labellum, der Lippe. Die Lippe funktioniert quasi als Landeplattform für Bestäuber. Außerdem verfügen Orchideen statt einzelner Pollen über sogenannte Pollinien. Das sind zwei klebrige Pollenpakete. Sie werden Insekten beim Besuch der Blüte aufgeklebt. Die Insekten bestäuben damit dann andere Orchideen. Aber nicht nur Insekten sorgen für die erfolgreiche Bestäubung. Je nach Art können auch Ameisen, Käfer, Fliegen, Bienen, Schmetterlinge, Vögel oder sogar Frösche einzelnen Orchideen zur Vermehrung verhelfen. Bei sehr vielen madagassischen Orchideen ist noch gar nicht erforscht, wer sie bestäubt oder wie sie sich vermehren. Einige Arten können sich über Knollen oder Kindel fortpflanzen.

Nur zwei Gattungen der madagassischen Orchideen wachsen wie Rankpflanzen: Vanilla und Galeola. Sieben verschiedene Vanillepflanzen beherbergt die Insel, darunter auch die Gewürzvanille (Vanilla planifolia). Letztere wächst auf Madagaskar ganz besonders gut. Im Nordosten der Insel befinden sich die meisten Vanilleplantagen. Die Stadt Sambava gilt als „Hauptstadt der Vanille“. Vanille gilt auf Madagaskar übrigens als Aphrodisiakum.

Orchidee, Satyrium rostratum
Satyrium rostratum in Angavobe

Eine sehr spezielle Lebensweise grenzen die sogenannten saprophytischen Orchideen von allen anderen auf Madagaskar ab: Sie haben keine Blätter und können daher kein Chlorophyll herstellen. Diese Orchideen sind auf bestimmte Pilze, sogenannte Mykorrhiza, an ihren Wurzeln angewiesen. Die Pilze liefern den Blumen die nötigen Nährstoffe. Zu dieser Gruppe gehören die Gattungen Didymoplexis, Auxopus, Eulophia, Gastrodia und die Art Habenaria saprophytica, die als einzige ihrer Gattung zu einer solchen Lebensweise fähig ist und dementsprechend benannt wurde. Erst 2020 wurde Gastrodia agnicellus aus dem Nationalpark Ranomafana beschrieben. Die Orchidee mit dem fleischigen Stiel und winzigen, bräunlichen Blüten wurde bekannt als „hässlichste Orchidee der Welt“.

Eine ganze Reihe Orchideengattungen auf Madagaskar wachsen terrestrisch, also auf dem Erdboden. Einige bilden dabei Knollen aus, die unter der Erde sitzen. Diese Wurzelknollen sorgen dafür, dass die Orchideen auch lange Trockenzeiten überleben können. Denn Orchideen kommen auf Madagaskar in allen möglichen Lebensräumen vor: Im immer feuchten Regenwald, im Trockenwald, im heißen und trockenem Dornwald, auf Inselbergen in luftiger Höhe, nahe Reisfeldern im Hochland, in Schluchten, zwischen den Tsingys und in Savannen. Zu den mit Wurzelknollen versehenen Orchideen gehören Satyrium, Disperis, Disa, Brownleea, Brachycorythis, Tylostigma, Benthamia, Habenaria, Megalorchis, Platycoryne, Physoceras und Cynorkis. Bestimmte Satyrium-Arten sollen einen besonders süßen Nektar haben. Dem Souimanga-Nektarvogel (Cinnyris sovimanga) wird nachgesagt, dass er mit seinem langen, schmalen Schnabel besonders gerne diese Orchideen anfliegt.

Orchidee, Cynorkis cf. baroni
Cynorkis cf. baronii auf dem Inselberg Angavokely

Dann gibt es auf Madagaskar Orchideen, die ebenfalls auf dem Boden wachsen. Sie verfügen jedoch über ein auf dem Boden kriechendes, eher fleischiges Rhizom. Sieht man sie zum ersten Mal, könnte man diese Orchideen zum Teil mit Sukkulenten verwechseln. Die Blüten sind klein und eher unscheinbar, dafür sind die Blätter besonders hübsch. Zu diesen Orchideen gehören die Gattungen Cheirostylis, Platylepis, Goodyera und Zeuxine.

Eine dritte Gruppe von Orchideengattungen lebt auch auf dem Erdboden, bildet aber ein sehr hartes und trockenes Rhizom aus. Zu dieser Gruppe gehören Corymborkis, Nervilia, Calanthe, Gastrorchis, Phaius, Liparis, Malaxis, Imerinaea, Eulophia und Oeceoclades sowie die Art Cymbidiella flabellata.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal unter den Orchideen sind die Blütenstände. Die Gattungen Polystachia, Liparis, Oberonia und Agrostophyllum tragen eine sogenannte Terminalblüte. Das bedeutet, dass ihr Blütenstand geschlossen ist, also an oberster Stelle des Stiels eine Blüte trägt. Diese Blüte öffnet sich in der Regel als erstes an der Orchidee, erst danach folgen die übrigen Blüten.

Orchidee, Habenaria bathiei
Habenaria bathiei im Nationalpark Isalo

Die Gattungen Bulbophyllum, Graphorkis, Paralophia, Grammangis, Eulophiella und Cymbidiella bilden die Gegenstücke: Diese Orchideen haben einen offenen Blütenstand. Dabei gehen die obersten Blüten seitlich vom Stiel ab, es gibt keine Blüte am Ende des Stiels selbst, nur ein etwas verjüngtes Ende. Die genannten Gattungen bilden dazu Pseudobulben aus. Das sind verdickte Bereiche im unteren Teil des Stämmchens der Pflanze, die als Wasser- und Nährstoffspeicher dienen. Sie sehen aus wie Wurzeln, sind aber keine – daher die Bezeichnung Pseudobulben.

Berühmt von der kleinen Trauminsel Nosy Nato an der Ostküste Madagaskars ist die „rosa Orchidee“ (französisch „orchidée rose“) Eulophiella roempleriana. Die wunderschöne Blume mit den großen, rosa-weißen Blüten wächst in den Blattachseln bestimmter Schraubenbäume (Pandanus utilis). Sie blüht jedoch nur zur intensivsten Regenzeit im Dezember und Januar.

Rund um die Bucht von Antongil und bis zur zentralen Ostküste wächst ein naher Verwandter der rosa Orchidee, Eulophiella elisabethae. Die großen, weißen Blüten mit rosa Nuancen und gelber Lippe blühen zu Beginn der Regenzeit, im November. Die Pflanze, auf der Eulophiella elisabethae wächst, ist eine Palme, Dypsis fibrosa.

Orchidee, Angraecum ochraceum
Angraecum ochraceum im Nationalpark Andasibe-Mantadia

Ähnlich bekannt ist die schwarze Orchidee, Cymbidiella falcigera. Sie wächst auf Bastpalmen (Raphia farinifera). Ihre Blüten sind aber nicht überall auf Madagaskar vollkommen schwarz, nur einige Farbvarianten an der Ostküste haben besonders dunkle Blütenblätter. Zwischen Dezember und März kann man Cymbidiella falcigera im Reservat Akanin’ny Nofy finden.

Wesentlich rarer als diese beiden Schönheiten, aber nicht weniger prachtvoll ist Grammangis spectabilis. Sie gehört zu den seltensten Orchideen Madagaskars und kommt im Südwesten der Insel vor. Dornwälder und Reste von Trockenwald gehören zu ihrem Lebensraum, manchmal findet man sie jedoch auch auf Feigenbäumen. Wer diese Orchidee zu Gesicht bekommt, darf sich glücklich schätzen.

Ganz ohne Pseudobulben, aber ebenfalls mit geschlossenem Blütenstand wachsen die madagassischen Gattungen Microcoelia, Acampe, Beclardia, Angraecopsis, Microterangis, Aerangis, Aeranthes, Erasanthe, Lemurorchis, Neobathiea, Jumellea, Angraecum, Pectinariella, Ambrella, Oeoniella, Sobennikoffia, Oeonia, Lemurella und Cryptopus. Einige davon wachsen epiphytisch, das heißt sie sitzen auf anderen Pflanzen, beispielsweise Bäumen. Andere leben litophytisch. Sie kommen nur auf Felsen und Gestein vor. Zu diesen gehört die Orchidee Microcoelia aphylla. Ihr Name verrät es schon: Diese Art trägt keine echten Blätter, sie sind zu kleinen Schuppen reduziert. Selbst die Blüten sind sehr klein und eher unscheinbar. Umso besser entwickelt sind die Wurzeln! Die Wurzeln sind es auch, die bei Microcoelia-Arten für die Photosynthese sorgt.

Orchidee, Oeceoclades calcarata
Oeceoclades calcarata im Arboretum Antsokay

Bei den Gattungen Aeranthes, Aerangis und Angraecum ist die Lippe auf der Rückseite zu einem dünnen Schlauch verlängert, dem sogenannten Sporn. In ihm befindet sich ganz tief unten der Nektar der Blüte. Der berühmte Stern von Madagaskar, Angraecum sesquipedale, verfügt mit bis zu 45 cm über den längsten Sporn aller Orchideen weltweit. Es gibt nur ein einziges Insekt, einen kleinen Falter, der einen so langen Rüssel hat, dass er an den süßen Nektar gelangen kann. Etliche Orchideen der drei Gattungen sondern nachts einen süßen Duft ab. Dieser Duft hat ihnen auf Madagaskar den Namen hanitriniala, zu Deutsch Parfüm des Waldes, eingebracht.

Herauszuheben ist außerdem die Orchidee Erasanthe henrici isaloensis. Sie ist vom Aussterben bedroht, nur ein paar Dutzend Pflanzen der Art dürfte es noch geben. Ihre schneeweißen Blüten öffnen sich nur im März. Man findet sie mit viel Glück in den Schluchten des Nationalparks Isalo.

Auf Madagaskar sind grundsätzlich alle Orchideen geschützt. Sie dürfen nicht der Natur entnommen werden, es sei denn, man hat dafür eine Ausnahmegenehmigung und CITES-Bescheinigungen. Durch ihre teils sehr stark spezialisierten Lebensräume sind viele Orchideen auf Madagaskar bedroht. Ihr ursprünglicher Lebensraum wird durch Holzschlag, Brandrodung und Minen immer kleiner. Fehlt epiphytischen Orchideen ihre Pflanze oder terrestrischen der Schatten, verschwinden sie. Dazu kommt, dass viele Orchideen empfindlich gegenüber Düngemitteln und Pestiziden sind, also in Nähe zu landwirtschaftlich genutztem Land, nicht wachsen können. Darüber hinaus werden Orchideen teils illegal abgesammelt, der internationale Orchideenhandel blüht geradezu.

Orchidee, Acampe pachyglossa, in Ankarafantsika
Acampe pachyglossa im Nationalpark Ankarafantsika

Trotz der fortlaufenden Bedrohung werden fast jedes Jahr noch neue Orchideen auf Madagaskar entdeckt. Unzählige Arten warten noch auf ihre Entdeckung, noch mehr auf die wissenschaftliche Beschreibung und Namensvergabe. Begibt man sich ein wenig abseits der üblichen Touristenpfade, hat man also gute Chancen, auf Madagaskar noch auf völlig unbekannte Highlights unter den Orchideen zu treffen.

Es lohnt sich also, nach Madagaskar zu reisen! Ganz besonders für Orchideenfreunde.

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