Brandneues

Die singenden Lemuren: Indris

Ihre Gesänge gehören zu den eindruckvollsten, die die Tierwelt zu bieten hat: Man kann die Stimmen der Indris (Indri indri) kilometerweit durch den Wald schallen hören, und sie tragen eine eigentümliche Traurigkeit mit sich. Angeführt und begonnen wird der Gesang stets vom Elternpaar einer Familie, das damit sein Revier absteckt, aber auch mit anderen Familien kommuniziert und vor Bedrohungen wie Raubvögeln oder Fossas warnt. Die anderen Tiere der Familie steigen in den Gesang ein, um ihn lauter und eindrucksvoller klingen zu lassen. Am meisten hört man Indris am Morgen singen – ein unfassbares, grandioses Erlebnis, mit einem solchen Chor im Regenwald den Tag zu beginnen. Und es gibt sie nur in Madagaskar!

Indri indri
Dieser Indri ist neugierig genug, aus dem Blätterdach nach unten zu klettern

Indris sind die größten Lemuren Madagaskars, und sehen aus wie Teddybären: Das schwarze Gericht ist eingerahmt von weißem Fell, und schwarze, kreisrunde Ohren lugen aus dem dichten Plüsch. Sie können Gewichte von bis zu 10 kg bei einer Körpergröße von rund 70 cm erreichen. Mit ausgestreckten Armen und Beinen sind sie dann stolze 120 cm lang. Die meisten Indris bleiben jedoch weit unter dem Maximalgewicht, und sind wie die meisten Lemuren eher klein und schlank.

Scheinbar federleicht springen sie von Baum zu Baum. Auf den Boden kommen Indris äußerst selten, ihr Lebensraum liegt einfach in den Baumkronen – auf luftigen Höhen bis 1800m über Meeresniveau. Sie kommen dabei auch nur in den Regenwäldern entlang der Ostküste zwischen Andapa im Norden und Anosibe An’Ala am Rande des zentralen Hochlandes vor. Zu den von ihnen bewohnten Gegenden zählen die Nationalparks Mananara-Nord, Andasibe-Mantadia, Anjanaharibe-Süd, Zahamena und die Reservate Makira, Betampona, Mangerivola, Ambatovaky und Marotandrano.

Auf Madagaskar nennt man den Indri auch Babakoto, er hat seinen eigenen, wichtigen Platz im Reich der Mythen und Legenden. Man sagt, dass Indris den Menschen sehr ähnlich sind, früher sogar einmal welche waren. Dieser Glaube mag damit zu tun haben, dass Indris im Gegensatz zu allen anderen Lemuren Madagaskars statt einem langen, eleganten Schwanz nur einen kleinen Stummel haben, den man im dichten Fell kaum erkennt. Wie Menschen leben Indris monogam und haben lebenslang nur einen einzigen Partner. Erst wenn dieser stirbt, suchen sie nach einem neuen Gefährten.

Indris sind die sanften Riesen unter den Lemuren: Es gibt selten handfesten Streit unter Indris, und Begegnungen mit anderen Familien verlaufen meist friedlich. Unterschiedliche Familien begegnen sich sowieso nicht täglich, da sie weit verstreut leben und für Lemuren mit durchschnittlich 7 bis maximal 23 Tieren verhältnismäßig wenige Indris auf einem Quadratkilometer vorkommen. Zusammen mit ihrem Nachwuchs bewohnen sie Reviere von weniger als einem halben Quadratkilometer, die sie tagsüber auf der Suche nach Futter durchstreifen und – seltener – gegen Eindringlinge verteidigen. Nur ein Pärchen und dessen Nachwuchs bilden eine Gruppe, größere Gruppen gemischter Familien gibt es nicht.

Eine Indrimutter mit ihrem Nachwuchs
Eine Indrimutter mit ihrem Nachwuchs

Ihr Speiseplan ist sehr ausgefallen, und besteht aus vorwiegend jungen Blättern von über 40 verschiedenen Baum-Arten. Lorbeergewächse sind besonders beliebt. Ab und zu wird die grüne Diät mit Blüten, Früchten, Samen und Rinde ergänzt – je nachdem, was im Wald gerade verfügbar ist. Auf der Futtersuche bewegen sie sich durchschnittlich gerade einmal 350 bis 700 m am Tag fort. Mittags rasten die Familien in hohen Bäumen, um ihre Futtersuche am Nachmittag fortzusetzen. Geschlafen wird 10 bis 30 Meter über dem Boden in den Ästen. Nester bauen sie nicht, Indris kuscheln sich einfach in Pärchen aneinander oder lehnen sich alleine in eine Astgabel.

Die Weibchen sind nur an wenigen Tagen im Jahr, wahrscheinlich sogar nur an einem einzigen Tag zu einer bestimmten Zeit, befruchtungsfähig. Genau diesen Zeitpunkt muss das Männchen zur Paarung abpassen, um erfolgreich Nachwuchs zeugen zu können. Meist fällt die Paarung in die Regenzeit, zu der es das reichhaltigste Nahrungsangebot gibt. Jedes Weibchen bekommt nur alle zwei oder drei Jahre ein einziges Junges, immer im Mai oder Juni nach vier bis fünf Monaten Tragezeit.

Wenn Indris auf die Welt kommen, sind sie gerade einmal eine Hand voll Lemur, kohlrabenschwarz und hängen am Bauch ihrer Mütter. Erst mit drei, vier Monaten trauen sich die Kleinen das erste Mal auf den Rücken ihrer Mamas, und erkunden mit großen, hellblau leuchtenden Augen die Welt. Es ist nun September oder Oktober, die beste Zeit, um die Indri-Familien zu beobachten. Jetzt trauen sich einzelne Jungtiere schon, auf eigene Faust ein paar Äste zu erkunden und bleiben dem Beobachter nicht mehr so verborgen wie zuvor. Bei den meisten Populationen beginnt nun die weiße Fellfarbe sich auszubilden. Sie variiert je nach Region. In Anjozorobe und Manakara gibt es sogar komplett schwarze Indris. Nur ganz weiße gibt es nicht.

Indri baby
Ein Indribaby

Besonders die Weibchen üben sich bald in verspielten Ringkämpfen untereinander. Sie sind es, die später eine Familie führen werden und daher Mimik, Gestik, Gesang und auch Rangordnungsverhalten besonders gut lernen müssen. Mit etwa acht Monaten sind die Jungtiere weitestgehend unabhängig von ihren Müttern, teilen aber noch Futter- und Schlafplätze bis zum Alter von gut zwei Jahren mit ihnen. Jetzt ändert sich ihre Augenfarbe langsam vom Babyblau zu grünlich-gelb.

Indris bleiben ganz ihrem teddybärhaften Äußerem gleich lange Kind. Erst mit sieben bis neun Jahren werden sie geschlechtsreif, und dann ist es auch an der Zeit, ihre eigene Familie zu verlassen und eine eigene zu gründen. Bei den Junggesellen unter den Indris findet man erstaunlicherweise ein anderes Gesangsmuster als bei Familien: Sie singen absichtlich in anderen Tonhöhen und unsychron zu den Tiere um sie herum, um ihre eigene Attraktivität herauszustellen. Vereinfacht gesagt: Wer besonders schön singt und damit auffällt, findet leichter einen Partner. Außer dem charakteristischen Gesang verfügen Indris über eine ganze Bandbreite verschiedener Lautäußerungen wie alle Lemuren.

Indris gehören zu den vom Aussterben bedrohten Arten auf der roten Liste der IUCN. Ihr Lebensraum sind intakte Regenwälder, doch diese schwinden mehr und mehr von der roten Insel. Brandrodungen vertreiben die Tiere in isolierte Waldgebiete, wo sie dem Feuer schließlich selbst zum Opfer fallen. Ganze Wälder werden abgeholzt, weil die Menschen Feuerholz brauchen. Von wenigen Madagassen werden Indris trotz der Jahrhunderte alten Mythen sogar gejagt und verspeist, entgegen der oft erwähnten und althergebrachten fadys (Tabus). In der Gegend um das Makira-Plateau ergaben Forschungen, dass Indrifleisch Höchstpreise auf dem Markt erzielt und als besonders wertvolles Fleisch geschätzt wird – obwohl illegal. Außerdem werden fadys umgangen oder durch Zuwanderung von Volksgruppen, die keine eigenen fadys zu Indris haben, minimiert.

Indri blaue Augen
Junger Indri mit noch blauen Augen

Heute schätzt man, dass es noch zwischen 1000 und 10.000 Indris auf Madagaskar gibt, und die Population nimmt stetig ab. An genauen Untersuchungen zur Individuenzahl mangelt es, genau wie an Geldern zum Schutz der verbliebenen Regenwälder. Geht der Rückgang der Indri-Populationen so weiter wie bisher, schätzt man, dass in weniger als 40 Jahren über 80% der Indris verschwinden. Eine sehr bedrohliche Prognose – nun gilt es, sie aufzuhalten. Dazu gehören staatliche Regelungen zu Schutzgebieten, Kontrollen derselben und vor allem Möglichkeiten für die Menschen, vom Ökotourismus und nachhaltiger Wirtschaft zu leben anstatt Wälder abzuholzen.

Die besten Orte, Indris heute in ihrem natürlichen Lebensraum zu begegnen, sind die Nationalparks Andasibe-Mantadia sowie die Reservate Mitsinjo, Anjozorobe, Betampona und Akanin’ny Nofy. Wer ihnen einmal begegnet, wird der Magie Madagaskars schnell erliegen. In Zoos gibt es Indris übrigens nicht. Ihre Nahrung ist zu ausgefallen und einzigartig, so dass es bisher keinem Tierpark weltweit gelungen ist, Indris artgerecht zu ernähren und länger als ein Jahr am Leben zu halten. Ein Grund mehr, weshalb ihr natürlicher Lebensraum dringend erhalten bleiben muss.

Mehr Lesenswertes zum Thema:

  • The Indris have got rhythm! Timing and pitch variation of a primate song examined between sexes and age classes
    Frontiers in NeuroScience 2016 | Autoren: Marco Gamba, Valeria Torti et al
  • Effects of anthropogenic disturbance on Indri health in Madagascar
    American Journal of Primatology 2011 | Autoren: Randall Junge, Meredith Barrett, Anne Yoder
  • Not just a pretty song: an overview of the vocal repertoire of Indri indri
    Journal of Anthropological Sciences 2011 | Autoren: Maretti, Sorrentino et al
  • Population density and home range size if Indri indri in a protected low altitude rain forest
    International Journal of Primatology 2005 | Autoren: Kellie Glessner, Adam Britt

 

Lesen Sie auch

The last dugongs

Madagascar’s coasts are home to a secret that few travellers know about. Not only is …