Es ist Madagaskars heimliches Wahrzeichen: Das Zebu oder Buckelrind (Bos taurus indicus), madagassisch omby. Überall im Land sieht man sie, rund 19 Millionen leben auf dem roten Boden der Insel. Auf Madagaskar symbolisiert das Zebu Kraft, Stärke und vor allem Wohlstand. Ein durchschnittliches Zebu bringt rund 300 bis 400 kg auf die Waage – bei einer Schulterhöhe von etwa 130 cm.
Natürlich gibt es nicht nur äußerliche Unterschiede zum europäischen Rindern: Zebus vertragen Hitze sehr gut und sind relativ resistent gegenüber Seuchen wie der afrikanischen Rinderpest. Sie kämpfen jedoch mit anderen Krankheiten, und deren Behandlung können nur wenige Madagassen zahlen. Parasitosen, Pilzerkrankungen der Haut und Tuberkulose sind auf Madagaskar weit verbreitete Zebu-Erkrankungen. Wo es keinen Tierarzt gibt, behilft man sich stattdessen mit traditionellen Heilpflanzen und Magie. Trotzdem stirbt fast die Hälfte der geborenen Kälber noch vor Erreichen des ersten Lebensjahrs.
Zebus werden auf Madagaskar grundsätzlich sehr traditionell gehalten. Im Hochland und an der Ostküste bringen junge Männer oder Kinder die Zebus tagsüber zum Weiden auf Wiesen, treiben sie entlang der diversen Routes nationales oder lassen sie im Wald fressen. Die Tiere haben dünne Seilchen um Kopf und Hörner, manchmal durch die Nase geführt, und schleifen vor allem bei kleineren Herden fast immer ihre Leinen hinter sich her. Nachts werden die Tiere ins Dorf getrieben, und bis zum Morgen in einem Gatter, der fahitra, gelassen. Kühe bleiben meist im Dorf oder bei den Häusern ihrer Familien, während Bullen zu großen Herden formiert als Statussymbol gelten. Je größer die Herde, die man besitzt, desto höher sind Ansehen und Wohlstand der Familie oder des Besitzers. Das gilt vor allem bei bestimmten Volksstämmen, deren Leben schon immer eng mit den Zebus verbunden ist.
Traditionelle Rinderzüchter und –halter sind vor allem die Bara und Antandroy im Süden Madagaskars. Seit jeher leben sie mit und von ihren Rindern. Die größten Viehherden Madagaskars sind deshalb im heißen Süden zu bewundern, wo sie Wochen und Monate mit ihrem Hirten auf dem kargen, heute nur noch von Zebugras bewachsenen Land verbringen. Eine berühmte Tradition der Bara ist es, dass junge Männer durch den Diebstahl eines Zebus ihren Mut unter Beweis stellen, und erst danach um die Hand ihrer Angebeteten anhalten dürfen. Diese Tradition ist noch heute verbreitet, und führt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Etliche Diebesbanden gehen seit Jahren mit Waffengewalt beim Viehdiebstahl vor, und scheuen sich auch nicht, Reisende oder Taxibrousses zu überfallen. Deshalb ist die Sicherheitslage im Süden Madagaskars leider seit Jahren prekär.
Gestohlene Zebus, sogenannte omby maloto (schmutzige Rinder), finden sich in fast allen größeren Herden. Hier kann man sie hervorragend unter den offiziell im Besitz des Diebes befindlichen Zebus, den omby madio (sauberen Rindern) verstecken. Trotz teils riesigen Rinderherden und damit in der Gemeinschaft hohem Ansehen sind die meisten Madagassen im Süden des Landes bitterarm. Jahrelange Dürren ohne jeden Regen führen zu Wasser- und Nahrungsknappheit. Eine gezielte Zucht von Rindern findet in kleinem Rahmen statt, wobei der Wert eines Zebus sich nicht unbedingt an Gesundheit, Milch- oder Fleischproduktion richtet. Traditionell sind bestimmte Farben und besonders lange Hörner wertvoller. Jeder Besitzer kennzeichnet seine Zebus durch bestimmte Kerben im Ohr, sofindrazana (Ohr der Ahnen) genannt.
Das dritte Volk, das eng mit den Zebus verknüpft ist, sind die Mahafaly aus dem Südwesten Madagaskars. Ihre Gräber erkennt man schon von Weitem an den Malereien, den Aloalo genannten Holztotems und unzähligen Zebu-Schädeln. Je einflussreicher und bedeutsamer der Verstorbene war, desto mehr Schädel befinden sich auf seinem Grab. Im Norden und Westen ist es das Volk der Sakalava, das den größten Anteil der dort lebenden Zebus besitzt. An der Ostküste ist die Zebuhaltung noch wenig verbreitet, hier werden vielmehr die Rinder anderer Gegenden hin geliefert.
Der größte Rindermarkt Madagaskars befindet sich in Ambalavao, in den äußersten Ausläufern des südlichen Hochlandes. Jeden Mittwoch finden sich Hirten und Rinderzüchter hier zusammen, um ihre Zebus potenziellen Käufern zu präsentieren. Teils legen sie mit ihren Herden Hunderte von Kilometern bis hierhin zurück. Große Händler, die mpandranto, kaufen gute Zebus auf und verladen sie auf Lkws, auf denen die Tiere eng zusammengebunden bis zum nächsten Schlachthof transportiert werden. Zebu-Rodeos, bei denen junge Männer sich am Buckel eines Rindes festklammern und möglichst lange zu halten versuchen, sind ein fester Bestandteil der Tradition. Ambovombe, eine Stadt an der Südküste Madagaskars, verfügt über den zweitgrößten Zebumarkt des Landes.
Aktuell existieren nur eine Hand voll Schlachthöfe auf Madagaskar (Mahajanga, Morondava, Fianarantsoa, Antananarivo), die meisten Zebus werden daher privat in Hinterhöfen geschlachtet. Metzgereien wie in Europa gibt es auf Madagaskar nicht, und Kühlräume sind kaum bezahlbar. Das Zebufleisch kann daher nirgends abhängen und reifen, wodurch es beim Essen ziemlich zäh wird. Alle Zebu-Teile werden in lokalen Metzgereien verkauft: Meist handelt es sich um zusammengezimmerte Bretterbuden, auf deren Holzplanken das Fleisch ungekühlt lagert. Zwar gibt es seit einigen Jahren einen blauen Stempel für „Tagesfrische“ und Metzgereien müssen ein offizielles Zertifikat besitzen, doch gerade in kleineren Dörfern weit ab von Städten bleibt das alles Theorie. Es ist wohl auch Definitionssache, ob ein Stück Rinderzunge nach zehn Stunden bei 30°C noch „frisch“ ist. Sowohl Fleisch als auch Innereien werden auf Madagaskar gegessen, das Fell wird zu Leder verarbeitet oder als Rohmaterial verkauft. Aus den Hörnern wird kunstvoller Schmuck oder Besteck gearbeitet.
Zebus sind des Weiteren die typischen Opfertiere Madagaskars. Der Ahnenkult hat für die meisten Madagassen einen sehr hohen Stellenwert. Opfert man den Ahnen ein wertvolles Zebu, so stellt man sich mit ihnen gut, und sie leiten die Geschicke der Lebenden zu deren Gunsten. So werden zu allen größeren Feierlichkeiten Zebus geschlachtet: Zur Hochzeit, zur Beerdigung, bei der Famadihana, zum Neubau eines Hauses, an Neujahr und zu anderen Gelegenheiten. Das Fleisch wird nach festen Regeln zum Verzehr aufgeteilt. In vielen Restaurants gibt es inzwischen täglich Zebu auf der Karte, obwohl es als weniger wertvoll als Schweinefleisch betrachtet wird. Ein Zebu kostet je Farbe, Alter und Geschlecht zwischen 400.000 bis 500.000 Ariary (120 bis 160 €), auf Madagaskar entspricht das mehreren Monatsgehältern der meisten Menschen.
Nebenbei verdienen die meisten Zebus ihr täglich Brot als Zugtiere vor den allgegenwärtigen Charettes, dienen als Mitgift, werden teils im Reisanbau genutzt und zieren unzählige Wappen, Briefmarken, Geldscheine und sogar das offizielle Landessiegel. Die Milch der Kühe wird vielerorts getrunken – obwohl es meist so wenig ist, dass gerade das Kalb satt wird. Ein bis zwei Liter täglich gibt eine Kuh, im Vergleich zu europäischen Leistungsrassen mit Spitzenwerten von bis zu 80 Litern täglich ist das natürlich nur eine sehr geringe Menge.
In den letzten Jahrzehnten fanden einige Versuche statt, die Milchproduktion auf Madagaskar zu erhöhen. Dazu gehörte der großflächige Import von Leistungsmilchrassen wie Holstein Friesian durch die Molkereien Tiko, SMPL, CLT (Centrale laitiere de Tananarive) und LMG mit professionellen Milchvieh-Haltungen. Mit dem Putsch 2009 und der darauffolgenden politische Krise verschwanden alle drei Firmen jedoch vom Markt, und der Pro-Kopf-Verbrauch an Milch beläuft sich derzeit auf anderthalb Liter jährlich (zum Vergleich: In Deutschland verbraucht jeder Einwohner knapp 60 l Milch pro Jahr). Der übrige Bedarf wird durch importiertes Milchpulver gedeckt. Die einst importierten Milchkühe verteilten sich in den letzten Jahren im Hochland. Sie werden omby rana genannt, weil ihnen der Zebu-Buckel fehlt. Die Ergebnisse diverser Kreuzungsversuche sieht man rund um Antananarivo noch heute. Die ehemalige Milchproduktindustrie befand sich ausschließlich in Antananarivo und Antsirabe, in letzterem kann man noch heute eine kleine Käseproduktion finden. Seit 2015 ist Tiko wieder im Aufbau begriffen.
Das Zebu ist jedoch nicht nur Wertgegenstand, es ist leider auch ein großer Faktor der fortschreitenden Umweltzerstörung Madagaskars. Riesige Flächen Regenwald werden für die Beweidung abgerodet und können bereits nach wenigen Jahren zu nichts mehr genutzt werden. Über 60% der Landfläche Madagaskars sind als Weideland deklariert. Besonders der Süden des Landes, ehemals von dichten Dorn- und Trockenwäldern bedeckt, gleicht heute einer kargen Einöde. Nur 5% der Zebu-Population wird jährlich geschlachtet, so dass ein massiver Überhang an eigentlich nur als Statussymbol gehaltenen Tieren entsteht. Im Westen Madagaskars gibt es sogar einige verwilderte Zebuherden (omby mahery), die niemandem gehören. Doch das alles tut dem Status des Zebus auf Madagaskar keinen Abbruch, und es ist davon auszugehen, dass das Buckelrind noch viele Jahrzehnte lang eine wichtige Rolle auf der viertgrößten Insel der Welt spielen wird.