Überall in Madagaskars Städten und Dörfern sind sie als ganz normale Taxis unterwegs: Die Renault 4s. Anderswo sieht man sie höchstens noch als gut gepflegte Oldtimer auf Ausstellungen oder in Liebhaber-Garagen, auf Madagaskar gehören sie jedoch zum ganz normalen Straßenbild. Aber warum ausgerechnet der R4?
Schon Ende der 50er Jahre wollte Renault unter dem Namen „Projekt 112“ einen Kleinwagen planen, der möglichst viel Platz bieten, fünftürig und für schlechte Straßenverhältnisse geeignet sein sollte. Allein diese ersten Ideen lassen erahnen, warum ausgerechnet Madagaskar noch heute ein Eldorado des R4 ist.
Seine Anfänge hatte der fertige Renault 4 dann im Herbst 1961 auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt. Damals noch als Renault R4 – erst vier Jahre später fiel das R im offiziellen Verkaufsnamen weg. Wenig später wurde der neue Wagen auch im Pariser Autosalon vorgeführt. Der eingebaute Vierzylindermotor stand Pate für den Namen des Wagens. Erstmals hatte Renault Frontantrieb in eines seiner Autos gebaut, und dazu noch war der Preis für damalige Verhältnisse erstaunlich günstig: Nicht einmal 13.000 Franc, also weniger als 2000 €, sollte es kosten. Der Renault 4 sollte damit ein Auto für die breite Masse werden, als Nachfolger des längst berühmt gewordenen Renault R4 CV. Entgegen aller Unkenrufe trat auch der R4 seinen Siegeszug durch Frankreich an, und wurde bald sogar in Südafrika und Madagaskar produziert.
Verschiedene Varianten lieferten über die Jahre für jeden Fahrer den richtigen R4: Vom Cabrio „plein air“ bis zum sportlichen „GTL“ mit 34 PS sorgte Renault für eine ganze Bandbreite an verschieden ausgestatteten R4s – das Modell „Sinpar“ hatte sogar Allradantrieb. Das Grundmodell wurde dabei stets nur geringfügig verändert. Serienmäßig wurde der R4 mit 0,6 bis 1,1 l-Motor, Stahlrohr-Sitzen mit Segeltuchbespannung, einem Gewicht von gerade mal 600 bis 720 kg, einem Hubraum von 603 bis maximal 1108 ccm und 26 bis 34 PS ausgeliefert. 1957 wurde das bis dahin genutzte Dreiganggetriebe von vier Gängen abgelöst, die charakteristische Revolverschaltung blieb. Trommelbremsen waren bis 1982 Bestandteil des R4, danach gab es bei den Modellen GTL und R4 F6 vorne Scheibenbremsen.
Genau 8.135.424 Renault 4 liefen insgesamt in 68 Ländern weltweit vom Band – noch heute ist der R4 damit zweitmeistverkauftes Auto Frankreichs. Im Jahr 1992 wurde die Produktion endgültig eingestellt. Einziges Manko des R4 bis dahin: Seine für Rost sehr anfällige Karosserie. Kurios und weithin bekannt ist noch heute der unterschiedliche Radstand des Autos: Rechts 2401 mm, links 2449 mm. Er wurde bedingt durch die hintereinander platzierten Drehstäbe an der Hinterachse, die auch das Nachfolgemodell noch sein Eigen nannte.
Über Frankreich fand der R4 mit dem Schiff seinen Weg schnell ins ehemalige Kolonialland Madagaskar. Im Gegensatz zu vielen anderen importierten oder dort hergestellten Autos ist der Renault 4 jedoch über Jahrzehnte geblieben. Drei Gründe machen ihn zum beliebtesten madagassischen Taxi:
- Die Einzelradaufhängung und die weiche Federung. Madagassische Straßen sind holprig, unbequem und voller Schlaglöcher. Neben den Routes nationales und größeren Straßen innerhalb von Städten sind die wenigsten Wege asphaltiert. Wer hier Taxifahrer ist, braucht ein Auto, mit dem auch unwegsames Gelände befahren werden kann. Dass der R4 serienmäßig nicht für mehr als 110 bis 120 km/h ausgelegt ist, macht auf Madagaskar nichts aus – die Straßen geben sowieso keine höhere Geschwindigkeit her.
- Seine Langlebigkeit und einfache Mechanik. Kaum ein anderes Auto ist so langlebig wie der R4 bei gleichzeitig wenig Ausfällen – und ist doch einmal etwas kaputt, erhält man auf Madagaskar passende Ersatzteile in fast jeder Stadt. Die meisten madagassischen Taxifahrer kennen ihr Auto jedoch gut genug, um alle möglichen Reparaturen mit den einfachsten Mitteln selbst auszuführen. Oft wird kunterbunt geschraubt und gewerkelt: Hauptsache, es hält. R4-Modelle, die vor 1975 gebaut wurden, kann man zur Not sogar durch ein Loch in der Stoßstange mit der Wagenheberkurbel starten.
- Der niedrige Verbrauch: 5,4 Liter Benzin verbraucht der R4 auf 100 Kilometer im Durchschnitt. Da Benzin auf Madagaskar vergleichbar teuer ist wie in Deutschland, die meisten Menschen aber viel weniger verdienen, darf nie mehr Benzin als zwingend nötig verbraucht werden. Manche kuriose Eigenbauten verhelfen dem R4 auf Madagaskar zu einem noch geringeren Verbrauch – oder wenigstens zu kleineren Tanks, die man samt Fahrgast zu Beginn der Fahrt erstmal befüllen fährt.
Neben dem Renault 4 wird auf Madagaskar auch der Citroën 2CV, die „Ente“, ein weiteres berühmtes Gefährt der Automobilgeschichte, als reguläres Personentaxi verwendet. Gut 8000 Autos sind insgesamt als Taxis auf der Insel registriert. Taxistände im eigentlichen Sinne gibt es auf Madagaskar nur in der Hauptstadt, meistens findet man Taxis einfach überall am Straßenrand. In Antananarivo und den meisten anderen Städten sind die Fahrzeuge hellbeige, in Antsiranana (Diego Suarez) im Norden knallgelb, in Sambava an der Nordostküste gelb-rot lackiert. Sie fahren kleinere Strecken zwischen nahen Städten oder innerhalb derselben und sind etwas teurer als Taxibrousse oder Taxi Be, dafür deutlich bequemer und ein wenig sicherer.
Kilometerzähler gibt es auf Madagaskar nicht, jeder Fahrgast handelt seinen Preis individuell mit dem Taxifahrer aus – am besten schon vor der Fahrt. Kleinere Pannen sind wegen des Alters der Renault 4s und unzähligen Flickereien ganz normal: Selbst gebastelte Benzinschläuche und verkleinerte Tanks, Starten ohne Schlüssel oder Löcher im Boden gehören zum madagassischen Taxi einfach dazu. Kurz gefasst: Für kurze Fahrten bieten die R4s ein echtes madagassisches Erlebnis in einem original Oldtimer.
- Taxi Malagasy – Im Renault 4 auf Madagaskar
Deutschland 2013 | Dokumentation | 43 min